Da will man einfach nur mal beim Entstehen des bekanntesten Horrorromans der Weltliteratur dabei sein und gerät prompt in eine Art Geisterhaus, das von einem seltsamen Wesen belagert wird. Oder wie man bei Doctor Who sagt: Dienstag!
Gruseln will gelernt sein
Es ist 1816, das Jahr ohne Sommer. In der verregneten und düsteren Schweiz verbringen Percy Blisshe Shelley, seine Verlobte Mary, Lord Byron und noch mehr Menschen Zeit in der Villa Diodati. An diesem Ort entstand die Idee zu "Frankenstein", als sich die eben genannte Riege der Schriftsteller eines Abends in einem Wettbewerb maßen, wer die gruseligste Geschichte erzählen konnte. So berichtet es die historische Überlierung.
Der Doctor und die TARDIS Fam wollen kurz vorbeischauen und bei der Entstehung dieses wichtigen Werkes der Weltliteratur dabei sein. Doch es kommt alles anders, als sie denken (welche eine Überraschung). In einer von Gewitter geplagten Nacht, werden Gegenstände durch die Luft geschleudert, Skeletthände bewegen sich und greifen an und das Haus selber wird zu einem dreidimensionalen Labyrinth, aus dem man nicht entkommen kann. Geht man zu einer Tür raus, landet man sofort wieder im gleichen Raum.
Allgemein bekannt ist, dass niemals Geister hinter all dem stecken, sondern Aliens. Doctor Who-Fans wissen das. Doch des Rätsels Lösung würde einen wünschen lassen, dass Gespenster hier verantwortlich wären...
Eine dunkle, stürmische Nacht (noch keine Spoiler)
Dass diese Folge keine normale "Gothic Horror"-Nummer wird, ist einem schon relativ schnell klar. Die verschiedenen gängigen Stilmittel und auch Klischees prallen sofort in einem Tempo auf einen ein, dass man dahinter System vermuten kann. Die Geister-/besessenes Haus-Klassiker sind dann auch nicht das, um was es hier geht, auch wenn sie gut umgesetzt sind. Gerade die sich ständig verschiebenden Räume und Wege des Hauses sind clever und bedrohlich eingesetzt. Aber auch hier wird man zunächst auf eine falsche Fährte gelenkt.
Lobend sei auch zu erwähnen, wie mal wieder in dieser Staffel, geschichtliche Ereignisse und Personen in das Doctor Who-Universum eingewoben werden. Lord Byron, Percy Blisshe Shelley, Claire Claremont und natürlich Mary Shelley (die hier noch Godwin heißt) sind nicht nur Staffage, sondern werden geschickt in die Handlung mit einbezogen, ohne dass am Ende die Zeitlinie verletzt wird (so viel darf man tatsächlich schon verraten).
Und das Jahr ohne Sommer gibt natürlich eine hervorragende Kulisse für Fremdeinwirkung auf die Erde her. Anspielungen auf vorangegangene Episoden runden die geschichtliche Verortung ab. Schließlich ist Lord Byron der Vater von Ada Lovelace, die wir in der Auftaktfolge Spyfall kennenlernen durften. Ob das noch eine Rolle spielt? Nun, wir dürfen zumindest angeregt darüber spekulieren.
Die Companions sind in The Haunting of Villa Diodati nicht der Mittelpunkt, hier nehmen sie die eher klassische Rolle als Helfer ein. Dreh- und Angelpunkt ist der Doctor, deren staffelübergreifender Story Arc weitergesponnen wird.
Jodie Whittaker darf wieder einmal eine große Bandbreite ihres Können geben und beherrscht auch locker jede Szene. Angefangen bei den kleinen Dingen, wie etwa der Tatsache, dass sie die ganze Zeit unter ihrem Mantel offensichtlich einen Pyjama trägt – bereit für die Nacht der Geistergeschichten – über kleinere Charakterentwicklungen, wie etwa den Anmachversuchen von Lord Byron, denen sie mit Entschiedenheit entgegentritt (überhaupt das erste Mal, dass der Doctor als Frau Objekt der Begierde ist) bis hin zu den großen Emotionen, die sie im Finale zeigen darf.
Der moderne Prometheus (jetzt gibt es Spoiler)
Es ist zwar nicht Frankensteins Monster, das uns als Hauptverursacher dieser seltsamen Erscheinungen begegnet, aber dennoch ein geister Nachfolger davon. Insofern befinden wir uns hier schon im Metatext, da der Doctor darauf hinweist, dass das Fehlen von Literatur zeitreisetechnisch enorme Folgen haben kann. Ganz praktisch sehen wir das an dem Cyberman, der hier die Inspiration für das Monster gibt, aber natürlich seine Existenz im Figurenkosmos der Serie auch dem Werk der echten Mary Shelley zu verdanken hat.
Die Cybermen sind natürlich die zu Ende gedachte Vision eines künstlichen Menschen, der aus totem Fleisch wiedererweckt wird. Nur haben diese das Fleisch fast völlig abgelegt. Bei diesem Cyberman ist es sogar noch schlimmer. Er ist unvollständig, eine halbe Kreatur, gefangen zwischen der Welt der Maschinen und der organischen Lebewesen. Und deshalb auch umso gefährlicher.
Er ist der "Lone Cyberman", vor dem Jack Harkness gewarnt hatte. Wie schon in der Neujahrsfolge Resolution setzt man bekannte Widersacher sparsam ein. Man bekommt es nur mit einem Cyberman zu tun, der ist aber bedrohlicher als es seine Kollegen zuletzt in der Serie waren (von den Mondassian Cybermen mal abgesehen). Der halb zerstörte Helm, unter dem das Lebewesen zum Vorschein kommt, illustriert natürlich die geteilte Natur der Cyborg-Wesen, zugleich wirkt sein zusammengestückelter Körper erschreckender als man es von dieser Spezies gewohnt ist.
Er ist hinter dem Cyberium her, einer Art flüssigem Supercomputer, der das gesamte Wissen der Cybermen gespeichert hat. Warum dieses aber nicht gefunden werden will und in wessen Auftrag der einsame Cyberman geschickt wurde, liegt noch im Dunkeln.
Klar ist nur, dass der Doctor am Ende vor einer Entscheidung steht, die nur sie alleine treffen kann. Sie entscheidet sich so zu handeln wie immer: ich rette das Individuum, das Universum bekomme ich schon hin. Vorher darf sie sich im Duell mit dem Cyberman messen und bietet sich sozusagen als Opfer für das Cyberium an, muss am Ende aber doch nachgeben, um das große Ganze zu verstehen. Whittaker kann hier wieder mal alles geben, die frohe Natur ihres Doctors weicht immer wieder den Schattenseiten eines uralten Wesens, das nicht die Untiefen von Raum und Zeit wie kein zweites kennt und trotzdem von Selbstzweifeln geplagt ist, ob sie auch das Richtige tut.
So endet die Episode mit dem Schluss des Gedichtes "Darkness" von Lord Byron, dessen Sinn wir noch nicht ganz verstehen. Ist dies die Warnung vor einer Dunkelheit, die durch die Cybermen-Armee droht oder ist der Doctor selber diese Dunkelheit? Die Staffel führt uns spannend und aufregend in ihr zweiteiliges Finale, wo wir hoffentlich Antworten auf alle Fragen bekommen werden.
Dem dürfen wir uns allerdings noch nicht sicher sein, denn für dieses Jahr ist schon eine Spezialfolge angekündigt.
Allerdings steht noch nicht fest, wann sie gesendet wird. Klar ist nur, dass Doctor Who wieder dieses Gefühl erzeugt, dass man die nächste Folge nicht abwarten kann.
The Haunting of Villa Diodati ist eine spannende Episode, die uns einen Schauer über den Rücken jagt, wenn auch nicht aus den Gründen, die man zunächste annehmen darf. Die erste Hälfte ist kurzweilig, allerdings auch etwas unentschlossen, was Humor und Grusel angeht – vermutlich soll das auch so sein, damit die starke zweite Hälfte den deutlicheren Eindruck hinterlässt und uns tiefer in den Hauptkonflikt dieser Staffel führt.
Jodie Whittaker beweist einmal mehr, wie sehr sie sich die Rolle inzwischen zu eigen gemacht hat und man darf hoffen, dass auch das Finale dieser Entwicklung Rechnung trägt.
Und natürlich ist da noch die ungeklärte Frage nach den richtigen Geistern, die Graham gesehen hat...
Fotos: © 2020 BBC