Ein Mädchen, das die Tore zu allen Universen öffnen kann. Ein furchterregendes Wesen ist hinter ihr her. Kann einer der Doctor Stranges sie retten?
Nein.
Aber unser Stephen Strange kann es vielleicht. In einem unglaublichen Trip durch das Multiversum...
Ein Multiversum der SPOILER! SPOILER! SPOILER!
Ich kann keine Besprechung von diesem Film machen, ohne zu spoilern. Das liegt nicht nur an der Geschichte, in der so viel passiert, sondern eben auch an der Werbung, die – das muss man den Marvel zugute halten – nichts darüber verrät, wer Feind und Freund und Opfer ist.
Nicht Wiedergutmachung, sondern Unterwerfung
Das Mädchen, das die oben erwähnte besondere Fähigkeit hat, ist America Chavez – in den Comics als Miss America bekannt, wo sie erst 2011 ihr Debüt feierte. Ein noch sehr junger Charakter (in doppelter Hinsicht), der sich aber perfekt in die fortlaufende Multiversum-Saga des MCU einfügt.
Sie landet auf der Flucht vor einem dämonischen Wesen in unserem Universum und nachdem Strange die Hochzeit seiner geliebten Ex-Freundin Christine Palmer verlassen muss, um America vor einem Tentakel-Riesenaugenwesen zu retten, entschließt er sich, ihr zu helfen.
Das MCU ist dicht und weit und dementsprechend muss man auch Vorkenntnisse mitbringen, um die ganzen Verknüpfungen in diesem Film zumindest so genießen zu können, dass man emotional tiefer mit den Figuren verbunden ist.
Neben der animierten Disney Plus-Serie What if... ist es vor allem WandaVision, die überhaupt erst den Grundstein für die ganze Handlung legt. Doctor Strange in the Multiverse of Madness ist eine direkte Fortsetzung der Ereignisse, die man in der Mini-Serie gesehen hat.
Und hier sind wir auch bei den Spoilern.
Denn schon nach gut 20 Minuten wird klar, wer hier der Bösewicht des Films ist.
Es ist die Scarlet Witch alias Wanda Maximoff.
Als wir sie in der letzten Szene der letzten Folge von WandaVision gesehen haben, hat sie weiter nach einem Weg gesucht, ihre Kinder aus der von ihr geschaffenen Realität zu finden.
Die Trauer und das Trauma um Vision und die verlorene gemeinsame Zukunft mit ihm hat sie also keineswegs überwunden, sondern sie hat vielmehr einen Plan ausgeheckt, um sich Zugang zu einem Universum zu verschaffen, indem sie ihr vornehmlich perfektes Familienidyll weiterleben kann.
Dafür ist sie aber bereit, über Leichen zu gehen. Doctor Strange möchte sie erst um Hilfe bitten, um dann entsetzt festzustellen, dass Wanda hinter allem steckt. Auch die vereinte Macht der Zauberer kann sie nicht aufhalten. Die Scarlet Witch ist entschlossen, alles für ihr Ziel zu tun.
Strange und America bleibt vorerst nur die Flucht in andere Universen, wo sie auf alte und neue Bekannte treffen...
Das Messer in der Hand
Sam Raimi hat mit der ersten Spider-Man-Trilogie dem modernen Superheldenkino zur Geburt verholfen. Da erscheint es fast ein wenig seltsam, dass man ihm nun nach 15 Jahren nicht einen eigenen neuen Helden anvertraut, sondern "nur" den zweiten Teil eines etablierten inszenieren lässt. Dazu kommt, dass er "nur" als Ersatz für Scott Derrickson an Bord kam, der beim ersten Doctor Strange Regie führte und dann wegen kreativer Differenzen ausgestiegen war.
Dennoch lässt sich hier gut die Handschrift des Kultregisseurs Raimi erkennen. Gerade die letzte halbe Stunde wird seine Fans erfreuen und auch zwischendurch gibt es durchaus an der einen oder anderen Stelle mehr Gore, als man es bei Marvel gewohnt ist.
Das Tempo ist sehr straff gehalten, gerade was die erste Hälfte des Films angeht. Hier geht es Schlag auf Schlag und erst im Universum 838 mit all seinen wunderbaren Blumengärten gibt es eine kleine Verschnaufpause.
Das schöne bei zweiten Teilen im MCU ist, dass nicht viel Zeit auf Einführungen und Erklärungen verwendet wird. Man kennt die Figuren, man hat sie zudem noch in anderen Filmen und Serien gesehen, deshalb kann man gleich einsteigen und durchziehen.
Das macht sehr viel Spaß – gerade in diesem Fall. Es geht drunter und drüber und es bleibt dennoch sogar noch Zeit, um auf die emotionalen Unebenheiten in Stranges Leben einzugehen.
Cumberbatch ist absolut in seiner Rolle drin, es gibt zwar weniger lustige Sprüche für ihn als bei anderen Auftritten, aber gerade das gibt ihm mehr Gewicht. Nachdem er fast fünf Jahre lang in anderen Filmen eine Nebenrolle spielte, steht er nun endlich wieder im Mittelpunkt.
Darauf hat man gewartet, Cumberbatch gibt wieder alles und darf auch als andere Versionen seiner selbst auftreten, am Ende sogar als Zombie.
Neben ihm sticht vor allem Elizabeth Olsen als Wanda hervor. Wir dachten ja, dass sie ein bisschen inneren Frieden gefunden hätte, aber da lagen wir ganz falsch. Sie ist zugleich böse und herzzerreißend verloren. Ein Bösewicht, wie ihn eigentlich nur das MCU hervorbringen kann.
Wer WandaVision gesehen hat, kann ihre Motivation besser verstehen; unbedingt nötig ist es allerdings nicht. Aber wie bei allem, was mittlerweile im MCU stattfindet, ist es mühselig, darauf hinzuweisen, dass Uneingeweihte keine Chance haben, der ganzen Tragweite der Handlung zu folgen.
Und wenn man sich die Einspielergebnisse ansieht, scheinen Uneingeweihte auch in einer deutlichen Minderheit zu sein.
Habt ihr euch in den 60ern gegründet?
Apropos Hardcore-Fans.
Die werden natürlich am meisten über die Szenen in den alternativen Universen sprechen. Denn hier erleben wir endlich die Zusammenführung der fehlenden Marvel-Charaktere.
Ja, denn es ist so, wie man vermutet hatte.
Patrick Stewarts Stimme im Trailer konnte ja nur eines bedeuten: Professor Charles Xavier tritt hier auf. Sogar in seinem Original-Comic-Rollstuhl, der mehr wie ein kleines Auto denn ein Stuhl mit Rädern aussieht.
Und als besonderer Bonus obendrauf erleben wir John Krasinski in seinem Debüt als Reed Richards. Die Fantastic Four finden endlich ihren Weg ins MCU – zumindest ein fantastischer Einer. Und das auch recht kurz.
Aber Spaß macht es trotzdem.
Auch die anderen Versionen schon bekannter Helden sorgen dafür, dass Fanherzen höher schlagen. Sei es Captain Peggy Carter als weibliche Captain America-Version oder Maria Rambeau als Captain Marvel oder eben Black Bolt, der hier wie in der gescheiterten Inhumans-Serie von Anson Mount gespielt wird, aber endlich im comictreuen Kostüm auftreten darf.
Auch wenn diese Ausgaben recht schnell an der Scarlet Witch scheitern, würde man sich doch auf mehr von ihnen freuen (bevorzugt aus unserem Universum) und bleibt in Erwartung der Filme und Serien, die da noch kommen mögen.
Als einzigartig hingegen wird America Chavez vorgestellt. Sie gibt es nur einmal und in sonst keinem Universum. Das macht sie zu etwas besonderem und deshalb werden wir definitiv nicht das letzte von ihr gesehen haben. Xochitl Gomez macht eine gute Figur als verlorenes Mädchen, das durch die Universen irrt. Sich gegen die Schwergewichte der anderen Darsteller zu behaupten, ist nicht einfach.
Das schöne ist, dass aus America weder ein Opfer noch eine Heldin mit Vorbestimmung gemacht wird.
Sie ist eine normale Person mit einer besonderen Kraft und sie muss lernen, diese zu beherrschen. Eine klassische Marvelfigur eben. So ist Doctor Strange in the Multiverse of Madness im Grunde auch die Origin-Story von Miss America – falls der Charakter denn im MCU so genannt werden wird.
Man muss das schon anerkennen, wie es Marvel schafft, Teenager-Charaktere nicht nervig werden zu lassen. Zu leicht ist diese Falle, gerade wenn man versucht, die Figuren unnötig zu überhöhen.
Die bekannten Gesichter aus dem ersten Teil, Rachel McAdams als Christine Palmer, Benedict Wong als Wong und Chiwetel Ejiofor als Mordo, geben alle solide Leistungen ab, wobei man eher Wong hervorheben will, der im Kampf gegen die Scarlet Witch deutlich mehr zu tun bekommt.
Die unerfüllte Liebesgeschichte um Christine und Stephen wird zwar als wichtig dargestellt, richtig großes Mitgefühl stellt sich jedoch nur zum Schluss ein.
So essentiell ist die Beziehung am Ende doch nicht. Da fliegen z.B. bei MJ und Peter Parker deutlich mehr Funken und man ist als Zuschauer merklich mehr investiert.
Wie geht es weiter?
Die obligatorische Mid Credit-Szene zeigt uns, dass der Ritt durch das Multiversum noch lange nicht vorbei ist. Vielmehr ist nun jedem endgültig klar, dass dies das große neue Thema im MCU nach der Infinity-Saga ist. Wohin dies führen wird, ist noch unklar.
Der Auftritt von Charlize Theron als Clea weißt aber darauf hin, dass es noch viel persönlicher wird. Selbige Clea wurde in den Comics die spätere Frau von Strange und auch seine Nachfolgerin als Sorceress Surpreme.
An diesem Punkt darf man aber auch mal Lob zollen, wie es Marvel geschafft hat, dieses komplexe Thema so ins Franchise einzuführen, dass man sich tatsächlich auf die kommenden Abenteuer – egal, in welcher Medienform – freut wie ein Kind vorm Comicregal.
Doctor Strange in the Multiverse of Madness ist ein sehr unterhaltsamer, teilweise sogar gruseliger Abenteuerfilm geworden, der Comic-Fans zu Jubeln und den normalen Zuschauern sehr kurzweilige zwei Stunden Kino bietet.
Was will man mehr?