Aus einer Freizeitpark-Attraktion einen Film zu machen, hat man einmal für das verrückteste Projekt in Hollywood gehalten. Dann zeigte Fluch der Karibik, was alles möglich ist. Nun probiert Disney das gleiche mit seinem Jungle Cruise.
Heraus kommt etwas, das genau so unterhaltsam ist, wie in Disneyland in einem Plastikboot über einen 1 Meter tiefen Amazonasstrom zu gondeln...
Eine Bootsfahrt, die ist lustig...
Lope de Aguirre, ein spanischer Konqistador, suchte dereinst im Dschungel des Amazonas nach einem legendären Baum, dessen Blütenblätter so gut wie jede Verletzung und Krankheit heilen kann. Er fand den Stamm von Ureinwohnern, der über die Geheimnisse des Baumes wacht und ihn vor der Außenwelt versteckt. Dem Oberhaupt entriss er eine steinerne Pfeilspitze, die der Schlüssel zum Versteck des Baumes ist.
Doch dann verliert sich die Spur...
400 Jahre später, während Europa im Ersten Weltkrieg versinkt, taucht die Pfeilspitze wieder auf. Die abenteuerlustige Forscherin Lily Houghton (Emily Blunt) ist überzeugt, dass die Legende wahr sei und ist so frei, die Pfeilspitze zu klauen (denn die zuständige Forschungsgesellschaft nimmt sie als Frau und ihre Legendenjagd nicht ernst) und macht sich nach Brasilien auf.
Verfolgt wird sie von dem Mann, der die Pfeilspitze eigentlich für sich haben wollte. Der deutsche Prinz Joachim (Jesse Plemons) bezahlt die britische Forscher heimlich und in Gold. Schließlich ist man ja offiziell im Krieg. Er will die sagenumwobene Pflanze finden, um das Kriegsglück des Deutschen Reiches zu wenden und in Ewigkeit dessen Kaiser zu sein.
Lily hat ihren versnobbten Bruder im Gepäck, als sie sich im Amazonasgebiet auf der Suche nach einem Boot macht. Der Skipper der La Quila, Frank (Dwayne Johnson) scheint der richtige Mann zu sein. Auch wenn Lily noch ihre Vorbehalte hat. Aber zusammen macht man sich auf eine Dschungel-Kreuzfahrt, um das Geheimnis der "Tränen des Mondes" zu lüften...
Auf in den CGI-Dschungel!
Es ist schon ziemlich ironisch, dass man sich die Geschichte von Aguirre als Basis für das Drehbuch genommen hat. Werner Herzog hatte mit seiner Version, in der Klaus Kinski als wahnsinniger spanischer Eroberer brilliert, einen Film geschaffen, der vor allem von der echten Dschungel-Atmosphäre lebt. Genau wie es Herzog später in Fitzcarraldo tat – das Outfit von Johnson erinnert wahrscheinlich nicht zufällig an den Kapitän des Schiffes, das (wirklich) über einen Berg gezogen wurde.
Herzog machte dies, weil für ihn jeder noch so gelungene Studio-Nachbau immer unecht gewirkt hätte. Jungle Cruise zeigt, wie recht er damit hatte. Hier ist fast alles am Computer entstanden – und egal, wie gut das z.B. in den großen Totalen und auch in vielen Nahaufnahmen aussieht, man weiß, dass die Leute vor einer Green Screen stehen. Man weiß, dass die Sonne überm Amazonas nicht echt ist. Man spürt so viel vom Dschungel, als säße man in Disneyland im originalen Jungle Cruise. Nämlich nichts.
Sämtliche Tiere sind animiert, wobei das nicht schlecht gemacht ist. Aber man weiß einfach, dass dies nicht real ist. Denn man lässt sie Dinge tun, die nur in einem Zeichentrickfilm vorkommen würden. Zu allem Überfluss hat Frank auch noch einen zahmen Leoparden, der aufs Wort hört und auch sonst so wirkt, als sei er aus der Animationsabteilung der Disney-Studios abgehauen.
Die Großkatze ist sehr exemplarisch für die Effekte des ganzen Films. Wie sie sich bewegt, wie das Fell aussieht, wie sie sich in die Umgebung einfügt und mit den echten Menschen interagiert, ist physikalisch vollkommen korrekt (abgesehen davon, dass es ein recht großer Leopard ist). Aber ihr Kopf sieht aus, als hätte man einen gezeichneten Leoparden aus einem alten Buch als Vorlage benutzt. Sobald das Vieh auftaucht, ist man raus aus der Illusion.
So spürt man weder Bedrohung, noch Spannung oder auch nur so etwas wie den Anflug einer fiebrigen Dschungel-Atmosphäre.
Ich lasse mich so ausführlich über diesen Punkt aus, da er eben den Unterschied zwischen einem netten Kino-Nachmittag für Kinder und einem Filmerlebnis für alle Altersstufen ausmacht. Es geht nur darum, von einer Action-Sequenz zur nächsten zu kommen, die aber weder besonders clever, noch besonders aufregend gestaltet sind.
Der Skipper ist für die Bootsreise verantwortlich
Jaume Collet-Serra führte Regie bei Jungle Cruise. Bekannt wurde er vor allem durch mehrere Zusammenarbeiten mit Liam Neeson (z.B. The Commuter und Non-Stop) und runtergekurbeltem Horror wie House of Wax oder Orphan. Seine Action-Inszenierung verliert sich in Halbnah- oder Nahaufnahmen mit möglichst vielen Schnitten oder unrealistischen CGI-Kamerafahrten. Man bekommt kein Gefühl für den Raum, in dem sich alles abspielt, noch spürt man den Impact von Schlägen oder das Aufkommen von Spannung, wenn eine gefährliche Situation droht.
Man kann eben keine echte Gefahr spüren, wenn nichts echt ist. Ab und zu bricht Collet-Serra bekannte Action-Klischees wie das Schwingen an einer Liane humoristisch auf, das funktioniert für den Moment ganz gut, ist aber genau so schnell wieder vorbei.
Wenn man schon Pirates of the Caribbean als Mustervorlage hat, kann man festhalten, dass man hier im Vergleich eben immer nur den zweiten Platz macht.
Dort war die Welt dreckig und ungemütlich. Man konnte das Salzwasser und die ungewaschenen Piraten fast riechen.
Hier sitzt das Make-Up von Emily Blunt immer perfekt. Niemand wird dreckig, nicht mal die Klamotten. Die werden höchstens ein wenig nass...
Auch bei der Schauspielerführung und Inszenierung der Charaktere bleibt man weit hinter den Möglichkeiten zurück.
Dwayne Johnson und Emily Blunt beherrschen qua ihres Charismas locker jede Szene, man muss aber konstatieren, dass sie dies trotz und nicht wegen des Drehbuchs tun. Denn viel hat das für seine Figuren nicht zu bieten.
Franks Gimmick sind seine Dad-Jokes und schlechten Wortspiele, mit denen er vor allem seine Boots-Touristen quält. Das ist schon lustig. Aber viel mehr kommt dabei eben nicht auf. Dwayne Johnson ist Dwayne Johnson, fertig, aus.
Das einzige, was wirklich gut gemacht ist, ist die Art, wie man mehr über ihn erfährt. Mit jedem Action-Erlebnis enthüllt sich ein Stück mehr die Wahrheit hinter Frank.
Lily Houghton ist promovierte Botanikerin, die sich in einer Männerwelt nach vorne kämpfen muss. Als Zeichen dessen trägt sie Hosen (was Franks Spitzname für sie wird). Außerdem glaubte ihr Vater an die Wahrheit der Legende der "Tränen des Mondes". Deshalb tut sie das auch. Als Kind lernte sie in Indien, wie man Schlösser knackt, was sich auch als Erwachsene immer noch prima anwenden lässt.
Mehr Charakterisierung gibt es eigentlich nicht. Sie ist eine clevere Action-Helden, furchtlos und sturköpfig. Warum sie tut, was sie tut, wird nicht weiter erklärt. Stattdessen geht man lieber auf die Hintergrundstory von Lope de Aguirre ein, der zudem nur einer von zwei Bösewichten ist.
Der andere ist Prinz Joachim. Der gute Jesse Plemons versucht wirklich alles, um die Figur etwas überdrehter darzustellen und aus ihr das Maximum herauszuholen. Dass er der Klischee-deutsche Kriegstreiber-Adlige ist, der als einziger alles Geheimnisse versteht und entschlüsselt, nimmt Plemons an und macht daraus sicher die interessanteste Nebenfigur.
Nebencharaktere müssen nun mal größer und überzogener sein, um die Hauptfiguren besser aussehen zu lassen. Auch Paul Giamatti versucht das in seinem 10-Minuten-Auftritt, aber mehr als seine Aufmachung und sein Aussehen bleibt nicht hängen.
Edgar Ramirez fällt als Aguirre nicht weiter auf. Dafür sind die Conquistadores verfluchte Untote, die mit CGI aufgemotzt. Ja genau, man hat hier aus Fluch der Karibik geklaut und einfach nur jedem der spanischen Soldaten eine besondere "Fähigkeit" zugeordnet. Der eine besteht aus Schlangen, der andere aus Schlamm, einer aus Ästen und Wurzeln und einer aus Bienen und Honigwaben. Das ist durchaus kreativ in der Ausführung. Die Grundidee kennt man aber aus einem anderen Franchise.
Das schwächste Glied ist Jack Whitehall als Lilys Bruder McGregor.
Der soll den weltfremden, verwöhnten englischen Upper Class-Snob geben, der so gar nichts mit dem Abenteuerleben anfangen kann. Als Comic Relief bleibt er aber sehr blass. Die Situationen, in die er gerät, sind oft nur leidlich komisch und selbst gute Dialoge und One-Liner hat man nicht für ihn übriggelassen.
Whitehall schafft es nicht, irgendwas besonderes aus der Figur herauszuholen. Er ist weder besonders exzentrisch, noch irgendwie der "straight man", der als Stellvertreter des Publikums agiert und das Geschehen entsprechend kommentiert.
Auch lässt man die Figur nicht wachsen. "Von einem Feigling zu einem Helden wider Willen" wäre hier gut und gerne als ein kleiner interessanter Erzählbogen drin gewesen.
Das mag nicht unbedingt die Schuld des Schauspielers sein, vor allem weil Whitehall eben als Stand-Up Comedian bekannt wurde, dessen Grundeinstellung der lakonische, sarkastische Kommentar von der Seite ist.
Zudem wurde im Vorfeld vor allem damit beworben, dass McGregor der erste LGBTQ-Hauptcharakter in einem Disney-Film sei. Das wird nur ein einziges Mal erwähnt; als Motivation, warum er Lily überall hinfolgt. Sie hat ihren schwulen Bruder verteidigt, der vom Rest der Familie verstoßen wurde (woher dann sein Wohlstand kommt, wird aber auch nicht erklärt).
Dass dies der heterosexuelle Whitehall spielt, wurde natürlich von einem Teil des allweisen Internets auch wieder kritisiert. Vielleicht wollte man deswegen auch vermeiden, dass er eine klischeemäßige Tunte gibt. Hätten sie einen offen schwulen Schauspieler genommen, hätte der vielleicht mit diesen Klischees spielen können, stattdessen gibt es aber weder Fisch noch Fleisch, sondern einfach nur Langeweile.
Bezeichnend für die Fehlbesetzung und die schwache Inszenierung ist eine Szene, in der McGregor sich zunächst Frank gegenüber aufspielt, um dann kleinbei zu geben. Eben weil Frank so ein großer, starker Mann ist.
Whitehall ist aber fast genau so groß wie Dwayne Johnson und die Kamerawinkel sind so gewählt, dass man nicht wirklich erkennen kann, dass The Rock eben doppelt so breite Schultern wie Whitehall hat. Es wird halt einfach gesagt. Dann muss es ja auch so sein. Und mehr passiert dann auch nicht.
... eine Bootsfahrt, die ist schön (?)
Jungle Cruise hat deutliche Schwächen, die nur über das Tempo wieder aufgefangen werden. Man verschwendet keine Zeit, um von einer Abenteuer-Station zur nächsten zu kommen. Da bleiben zwar oft einige Fragen offen, aber was soll's. Wenigstens geht der Film voran.
Anderswo hätte er sonst gut ne halbe Stunde länger sein können, so bleiben einem immerhin seifige Hintergrundgeschichten und pathetische Ansprachen erspart.
Unterm Strich kommt es einem so vor, als hätte man ein Live-Action-Remake eines alten Zeichentrickfilms von Disney gesehen – den es nie gegeben hat, der aber trotzdem besser war.
Der Film ist keine Katastrophe oder irgendwie fremdschämig. Er zieht einfach so vorbei. Wer mit seinen Kindern reingeht, wird auf der sicheren Seite sein. Die werden sich nicht an den Problemen stören, allerdings wird ihnen Jungle Cruise auch nicht im Gedächtnis bleiben.
Das ist schade, hier wäre viel mehr drin gewesen.