Nach Avengers: Endgame ist Natasha Romanoffs Geschichte noch nicht auserzählt. Einige Fragen bleiben noch offen, die nun beantwortet werden sollen. Im Einzelabenteuer der Black Widow muss sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und einen gefährlichen Teil davon auslöschen.
Nach Civil War ist vor Infinity War
Natasha ist auf der Flucht. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Tony Stark und Steve Rogers haben einen Keil zwischen die Avengers getrieben. Als Natasha in einem Unterschlupf plötzlich von einem mysteriösen Angreifer attackiert wird, holt sie ihre Vergangenheit ein. Der Angreifer hatte es auf ein Paket mit Chemikalien abgesehen, die als Gegenmittel für gehirngewaschene Attentäter funktionieren.
Dieses Paket kam von ihrer verschollenen Schwester Yelena, die vor dem Red Room flüchtet. Nun muss Natasha ihre alte Familie zusammensuchen, um den Red Room ein für alle Mal zu vernichten.
Der Film ist eigentlich in drei Teile unterteilt. Der Anfang ist recht actiongeladen und schnell. Dort bekommen die Figuren kaum Atempausen. Gespräche finden auf das Nötigste reduziert statt. Der Mittelteil bekommt dann die starken Charaktermomente bis dann zum finalen Part übergeleitet wird. Das war mir persönlich am Anfang etwas zu sehr Fast & Furious.
Nicht falsch verstehen, ich mochte die Action und auch die Kämpfe. Regisseurin Cate Shortland hat dies gut inszeniert. Ich war es nur irgendwie nicht mehr so richtig gewohnt. Vielleicht auch, weil die MCU-Serien ein deutlich langsameres Tempo beginnen und dann anziehen. Allerdings macht es irgendwo Sinn. Natasha wird von der Regierung gesucht, nachdem ein Teil der Avengers auf der Flucht ist.
Als dann auch noch Yelena wieder in ihr Leben tritt und beide von den Attentätern des Red Rooms gejagt werden, kann schwer eine Atempause gelassen werden. Die ständige Flucht fühlt sich dadurch echter an. Mit dem Taskmaster hat man dann zusätzlich auch noch einen nicht aufzuhaltenden Gegner, der sich einfach nicht abschütteln lässt.
Das große Aber ist eben, dass alles hier zwischen Captain America: Civil War und Avengers: Infinity War spielt und wir dadurch wissen, dass Natasha und höchstwahrscheinlich auch Yelena nichts wirklich schlimmes passieren wird. Somit bleibt es wenig spannend, was das Gesamtbild angeht. Trotzdem weiß der Film einige Überraschungen zu bieten.
Glückliche Familie
Zu Beginn bekommen wir eine Rückblende zu Natashas Kindheit und lernen, dass ihre Familie Spione für eine andere Regierung waren. Natasha und ihre Schwester werden von ihren Eltern nach erfolgreicher Mission getrennt und in den Red Room gebracht, wo die Ausbildung zu kaltherzigen Killern beginnt.
Hier fokusiert sich die Geschichte eher auf Yelena, die nur durch die Chemikalie wieder ihren freien Willen bekam und nun vom Red Room wegkommt. Natashas Flucht wird lediglich in Erzählungen angerissen, aber nie wirklich gezeigt. Auch ihre Zeit mit Clint Barton findet in dieser Geschichte keinen Platz.
In diesem Abenteuer geht es vorangig um eine Art Fackelübergabe und den Aufbau von Yelenas Charakter. Das fand ich gut. Der Black Widow-Film kommt einige Jahre zu spät (nicht nur durch Corona) und das weiß Marvel wahrscheinlich selber. Darum machen sie es recht clever und bereiten alles für Yelena als mögliche neue Black Widow vor.
Das ist auch eine große Stärke des Filmes. Florence Pugh als Yelena schließt man recht schnell ins Herz. Die Chemie mit Scarlett Johansson ist wirklich gut und beide bekommen genug Rampenlicht. Während Natasha ein gefestigter Charakter ist und schon mit einigen Dämonen abgeschlossen hat, muss Yelena hier erst anfangen sich mit ihren auseinanderzusetzen. Beide Darstellerinnen geben sich genug Raum, um den Charakteren Entwicklung zu geben.
Besonders stark ist die Familienzusammenkunft im Mittelteil. Als Comic Relief fungiert diesmal David Harbour als Red Guardian, der seinen vergangenen glorreichen Tagen und seinem nicht ausgeschöpften Potenzial hinterher weint. Er übertreibt es aber auch nicht, was ihn nicht albern werden lässt.
Rachel Weisz spielt angenehm zurückhaltend. Sie lässt Scarlett Johansson und Florence Pugh sehr viel Raum, damit sie im Mittelpunkt stehen. Trotzdem ist sie ein wichtiger Teil des Filmes und wird auch nicht unterrepräsentiert. Die Widow-Familie bekommt genauso viel Platz, wie jede Figur für die Geschichte benötigt.
Der legendäre Red Room
Der Taskmaster ist ein wirklich schöner Gegner und ich mag, was das Marvel Cinematic Universe aus dieser Figur gemacht hat. Die Modernisierung tut diesem Schurken wirklich gut. Um so bitterer ist es, dass der Taskmaster nur eine rechte Hand vom Oberfiesling ist. Dieser ist leider wieder recht blass und gehört definitiv nicht zu den stärkeren Schurken des MCUs. Er ist eben böse, weil er böse ist.
Natürlich gibts ein wenig mehr Tiefe, aber auch nicht so viel. Er agiert für diverse Regierungen und wird als die unsichtbare Hand des Weltgeschehens betitelt. Allerdings wird mir das zu wenig gezeigt. Es gibt einen kurzen Moment, wo der Fiesling zeigt, was er alles verschuldet hat. Trotzdem könnte das auch jeder x-beliebige andere Schurke sein. Ein Baron Zemo hat ebenfalls große terroristische Handschriften hinterlassen. Somit bleibt der Bösewicht aus Black Widow kaum in Erinnerung. Das ist schade, da der Red Room immer als eine sehr gefährliche Bedrohung dargestellt wurde, abseits von Metawesen und Aliens.
Auch wo der Red Room letzten Endes ist, kann eine kleine Enttäuschung sein. Es macht wenig Sinn, dass die Basis in dieser hochtechnisierten Version der Welt nie gefunden wurde. Natürlich kann argumentiert werden, dass die Attentäter sehr versteckt agieren. Allerdings wirkt das bei einigen Sachen im MCU so, dass sie immer dann gefunden werden, wenn es ein Drehbuch will.
Nichtsdesdotrotz geht das alles in Ordnung für einen Spionage-Action-Film. Black Widow kommt nicht an Captain America: Winter Soldier heran, aber bietet doch viel Schauwert.
Fackelübergabe
Das Florence Pugh spielen kann, weiß man spätestens nach Midsommar. Obwohl dies nun eine ganz andere Rolle ist und Actionfilm anstatt Drama, kann sie doch viel Emotionen unterbringen, die ich ihr abkaufe. Yelena liebt ihre Familie, obwohl sie kaltherzig ist und für sie war es das einzige, was sie je hatte.
Dieser Kontrast zu Natasha, die mit den Avengers eine neue starke Familie besitzt, ist gut gemacht. Natürlich gehen zu diesem Zeitpunkt auch die Avengers durch harte Zeiten, aber Natasha hat durchaus noch Verbündete.
Yelena hat diese nicht. Ihr Vater hat eine vollkommen andere Vorstellung von dem, was aus seinen beiden Mädchen geworden ist und ihre Mutter tat auch eher alles für die Mission. So klammerte sich Yelena an eine Lüge, mit der Natasha schon abgeschlossen hatte. Das formt beide und führt auch zu einer ordentlichen Fackelübergabe.
Wenn man es so will, dann ist Black Widow ein Film über die Heldenfigur, die von zwei Personen ausgefüllt wird. Ihre Abenteuer, ihre Schmerzen, ihre Verluste und ihre Taten. Natasha und Yelena haben beide schlimme Dinge getan.
Doch während Natasha als Avenger Erlösung erfahren hat, hält ihr Yelena den Spiegel vor, dass sie Sachen nicht ungeschehen machen kann und vielleicht auch zu unrecht bejubelt wird. Wiederum zeigt ihr Natasha, dass der Weg niemals vollkommen festgeschrieben steht und man sich immer ändern kann. Das gab es alles schon mal, trotzdem wirkt es durch beide Darstellerinnen sehr überzeugend.
Der Humor ist diesmal auch zurückhaltender. Yelena macht sich gerne über Natashas Kampfpose lustig und generell wird sich ein wenig über die Avengers lustig gemacht. Trotzdem ist dies keine Schenkelklopfer-Show wie Guadians of the Galaxy, sondern lockert nur punktuell die Stimmung etwas auf. Im gesamten bleibt der Film recht ernst und auch ein wenig düster. Daher definitiv ein Film für Fans der Thriller-Actionfilme des MCUs.
Fazit – tl;dr
Black Widows Solo Abenteuer ist eine Fackelübergabe der Heldenfigur geworden. Natasha kann mit einigen Sachen abschließen und Yelena als neuer Charakter aufgebaut werden. Scarlett Johansson und Florence Pugh haben eine tolle Chemie und werden durch David Harbour und Rachel Weisz gut unterstützt.
Yelena schließt man als Zuschauender ins Herz und es ist schön, dass Natasha nochmal ihren Stand-Alone-Film bekommt. Die größten Schwächen sind wohl der Zeitpunkt des Filmes und der Oberfiesling. Dafür gibt es eine sehr gut modernisierte Version des Taskmasters und gute Action zu sehen.
Der Humor hält sich dankend zurück und lockert das Geschehen immer mal wieder auf. Als Spionage-Action-Film im MCU macht er Spaß, kommt aber nicht an Captain America: Winter Soldier heran. Allerdings ist das hier schon großes Kino und definitiv zu empfehlen.
Ein würdiger Abschluss und Anfang für Black Widow.
Bildnachweis: © 2021 Marvel Studios