Entlaufende Bullen, durchgeknallte mörderische Influencer oder knallharte Action aus den Slums von Uganda:
Das SHIVERS Film Festival findet dieses Jahr online statt und wird von den Rocket Beans präsentiert. Vier Tage kann man neun verschiedene Genre-Filme über eine Website anschauen. Und was für welche: mit dabei sind ein BIFFF Publikumsliebling und ein beim Sitges Film Festival ausgezeichneter Film.
Spree
Diesen Film habe ich mir als erstes angeschaut, da der Trailer mich sofort gehooked hatte. Es geht um den 23-jährigen Kurt, der nur noch für die sozialen Medien lebt und nach Aufmerksamkeit sucht. Als die Klickzahlen und Live-Views nicht steigen, denkt er sich eine neue Methode aus Follower zu generieren. Durch seine Tätigkeit als Taxiservice-Fahrer sieht er seine Chance, mit den Kunden Live Content zu bieten, der immer grausamer und abartiger wird...
Spree legt hier ganz klar den Fokus auf die Kritik an den sozialen Medien und die Schau- oder Sensationslust der Menschen. Kurt, gespielt von Joe Keery, überschreitet immer weiter Grenzen, nur um mehr Follower zu bekommen. Doch Kurt ist hier nicht der einzige Charakter, der in diesem Dunstkreis gefangen ist. Absolut jeder im Film will sich in irgendeiner Art medial präsentieren und einen gewissen Lifestyle vorleben. Das macht der Film gut.
Allerdings fehlt so ein bisschen die Moral am Schluss. Die Konsequenzen sind nicht für alle Charaktere gleich und ein Charakter, der einen sehr starken Moment bekommt, verfällt zum Schluss dann doch wieder in alte Muster. So kann gesagt werden, dass Spree gar keine Moral präsentieren möchte, sondern zur kurzen Selbstreflektion anregen will, dann aber doch eher ein spassiger Genre-Festival-Film wird. Das gelingt ihm auch und kann somit getrost empfohlen werden.
Jallikattu - Zorn der Bestien
In einem indischen Dorf ist der Bulle los. Nein, wirklich!
Der Film dreht sich komplett um die Jagd nach einem entflohenen Bullen. Wer jetzt nicht versteht, was das soll, glaubt mir: da steckt noch viel mehr dahinter. Der entflohene Bulle ist lediglich der Tropfen, der in einem frustrierten Dorf mit seinen testosterongeladenen Männern das Fass zum überlaufen bringt.
Die Jagd ist somit lediglich die vordergründige Geschichte und in ihr breiten sich mehrere kleine Konflikte aus. Dabei ist die grundlegende Metapher das Wichtige und wie die indischen Männer ihre Rolle in der Gesellschaft des Dorfes sehen.
Zu erwähnen sei die Soundkulisse, die aus altertümlichen Klängen und Geräuschen besteht. Diese werden auch während des Filmes sinnig erklärt und in die Geschichte eingebunden. Lässt man sich auf den Film ein, bemerkt man den brodelnden Kessel, der bald explodieren wird.
Der Zugang könnte aber schwer sein für Filmgucker, die ab und zu mal einen Genrefilm schauen. Auch eine wirkliche zentrale Figur gibt es hier nicht, an die man sich festhalten kann. Generell hat der Film eher unsympathische Figuren, die sehr oft nur nach ihren eigenen Vorteilen suchen, anstatt sich gegenseitig zu helfen.
Einzig die Jagd nach dem Bullen vereint sie und dann wieder auch nicht. Ein kleiner Geheimtipp des Festivals.
Crazy World
Habt ihr schon mal was von Wakaliwood gehört? Das sind Actionfilme, die mit sehr kleinem Budget und der örtlichen Bevölkerung in den Slums von Uganda gedreht werden. Aushängeschild sind das sehr schlechte CGI und abgedrehtes Voice Over, das den gesamten Film kommentiert.
Regisseur Nabwana I.G.G. weiß genau, was für eine Art Film er hier gemacht hat. Crazy World lässt sich schwer beschreiben und bewerten. Die grundlegende Geschichte dreht sich um die Tiger Mafia Gang, die Kinder entführt. Drei Väter wollen die Kinder befreien, wobei diese nicht unterschiedlicher nicht sein könnten.
Wir haben einen irregewordenen Ex-Commando-Soldaten, einen Martial Arts Spezialisten und einen Normalo, der halt da ist. Die Kiddies können übrigens auch Kung Fu.
Und so entsteht ein abgedrehter Trip, der schon allein wegen des Voice Overs unglaublich viel Spaß macht. Nichts kann hier ernstgenommen werden. Trash Film par excellence. Besonders in der Gruppe macht das wahnsinnig viel Spaß.
Vicious Fun
Willkommen zum Festival Film! Hier ist es wirklich schade, dass kein voller Kinosaal mit hungrigen Genre-Filmfans statt finden kann. Vicious Fun erzählt die Geschichte vom Horrorfilm-begeisterten Joel, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Nachdem er in einer Bar zu tief ins Glas geschaut hat, findet er sich bei einem geschlossenen Meeting von Serienkillern wieder, zu dem auch der neue Datingpartner der angebeteten Mitbewohnerin gehört.
Nun heißt es überleben und nebenbei die Mitbewohnerin zu retten. Der 80s Vibe ist hier ganz groß. Es knallen Synthie-Sounds um die Ohren, Neonlicht strahlt überall und die Hommagen an das Horrorkino der 80er Jahre ist zahlreich. So schön charmant wird wohl in keinem anderen Film des Festivals gekillt.
Der Hauptcharakter wächst einem schnell ans Herz und die einzelnen Killer haben tolle Momente. Ganz klar an der Front: Ari Millen als Bob, der an American Psycho angelegt ist. So schön hassenswert und ekelhaft als Person. Doch auch Amber Goldfarb als Carrie macht ihre Sache super.
Wenn man was zu meckern sucht, dann dass der Film noch etwas splattriger hätte sein können. Ein bisschen mehr aufs Gas drücken und wir hätten einen starken Anwärter für den Festivalfilm des Jahres bisher. Dass der Film aber dennoch ankommt, zeigt seine Auszeichnung als Publikumsliebling beim diesjährigen Brussel International Fantastic Film Festival. Insofern muss hier eine klare Empfehlung ausgesprochen werden und wenn man nur einen Film auf dem Festival sehen will, dann sollte es dieser sein!
Im zweiten Teil unserer Festivalrückschau rede ich noch über The Long Walk, The Old Ways, The Old Man Movie, The Dark and the Wicked und Das letzte Land. Ebenso wird es noch einen gesonderten Blick auf die Online-Ausgabe des Festivals geben und als Sonderbonbon nehmen wir eine Nerdzig - Der Podcast Folge mit einem Special Guest auf.
Deshalb bleibt dran und genießt das Festival!