Also, die Sache ist die: Ich habe diese Kritik am 11. März angefangen zu schreiben. Ich hatte aber noch zwei Wochen Zeit, bis der Film rauskam... Dachte ich...
Dann kam Corona und der Filmstart von Mulan wurde immer wieder verschoben... und da sind wir nun. Sechs Monate später und ich schreibe aus dem Gedächtnis eine Rezension heraus.
Na, dann Prost, Mahlzeit.
Und da machte ich noch Witze, dass ich einer der wenigen Menschen auf der Welt bin, der Mulan im Kino gesehen hat. Und nun werde ich auch einer der wenigen bleiben. Denn Disney benutzt diesen Film, um ein wenig das Gewässer zu testen, wie der Amerikaner sagt.
Kann ein Blockbuster dieser Art auch per Streaming funktionieren? Kann man die Kinobetreiber außen vor lassen und sich so die ganzen Einnahmen sichern, statt nur 50 Prozent? Aber nimmt man per Streaming überhaupt so viel ein?
Das sind die Metafragen, die die Veröffentlichung dieses Films begleiten. Wer ein Disney+ Abo hat, kann auch einfach bis Dezember warten, wenn Mulan dann kostenlos für alle verfügbar ist. Seit heute kann man ihn exklusiv per "VIP-Zugang" für 21,99€ anschauen.
Und hier komme ich als Kritiker ins Spiel. Würde sich das lohnen?
Ein Remake, kein Klon
Die Live-Action-Remakes bekannter Zeichentrick-Klassiker von Disney sind ein kultureller Streitpunkt. Fans der Originalfilme und Kritiker haben zurecht festgestellt, dass diese Werke zunehmend reine 1:1-Umsetzungen ohne besondere neue oder überhaupt originelle Ideen sind.
Oftmals zeigt sich sogar eine Verschlechterung. Emma Watsons Gesangstalent in Die Schöne und das Biest z.B. reichte in keiner Weise an die Ursprungsfassung heran und war schnell Zielscheibe allgemeinen Spotts.
Die Frage nach dem Sinn der Neuauflagen stellt sich aus künstlerlscher Sicht schon länger nicht mehr. Disney sieht, wie viel Geld sich damit machen lässt und forciert dementsprechend die Frequenz, mit der die Filme produziert werden.
Und auch diese Version von Mulan ist natürlich keine absolut eigenständige Neuerzählung der chinesischen Legende, sondern orientiert sich stark am Zeichentrickfilm von 1998.
Allerdings merkt man schnell, dass sich die Macher hier mehr Freiheiten herausgenommen haben.
Es gibt keine Songs, keinen lustigen Sidekick in Form eines sprechenden Tieres und auch der Slapstick ist so gut wie gar nicht vorhanden. Wer gehofft hat, dass Mushu in irgendeiner modernen Form wiederkehrt, dem kann ich gleich den (Drachen-)Zahn ziehen.
Mushu existiert in dieser Version nicht. Mulan wird von der Vision eines Phoenix geleitet, wenn sie in Gefahr ist. Das wird aber eher unkonkret gehalten, so dass er eher als Metapher für Mulans Entschlossenheit und inneren Antrieb zu verstehen ist. Poetisch zurückhaltend und damit ganz das Gegenteil zum lautstarken Gag-Lieferanten des Originals, kein Eddie Murphy oder Otto Waalkes stören hier das Bild eines chinesischen Epos'.
Die Heldinnen-Reise
Dennoch bleibt die Geschichte natürlich dieselbe. Mulan ist die Tochter eines erfahrenen, aber alten Kriegers (der keine Söhne hat, aber Mulan wie einen ausgebildet hat) und will anstatt seiner in den Kampf gegen die Mongolen, genauer gesagt Rouran ziehen. Sie verkleidet sich als Mann und dient trotz der ständigen Angst entdeckt und damit des sicheren Todes zu sein, ehrenhaft und vorbildlich in der Armee. Gemeinsam mit ihrer kleinen Truppe muss sie am Ende das Lebens des chinesischen Kaisers retten.
Mulans Charakterisierung wird deutlich mehr Zeit eingeräumt und sie bekommt mit der Hexe Xianniang eine neue Antagonistin gegenüber gestellt, die zugleich auch ein Spiegelbild von Mulan selber ist. Eine Frau in einer Männerwelt, die zum Überleben und für den Erfolg besser sein muss als all die Herren um sie herum.
Dennoch ist Xianniang korrumpiert, sie lässt sich und ihre besonderen Fähigkeiten für böse Taten ausnutzen, für die gewaltsame Eroberung des chinesischen Reiches.
Das wird zu Beginn noch recht subtil gehalten, dann aber in der finalen Konfrontation auch noch für den denkfaulsten im Publikum laut ausgesprochen. Dennoch sieht man an dieser Konstruktion, das mehr Augenmerkt auf Drama gelegt und der feministische Subtext stärker verhandelt wird (wenn auch nicht so laut, dass es einem ins Gesicht springt)
Die Hexe wird als die Gestalt hinter dem intelligenten Raubvogel eingeführt, den Rouran-Anführer Böri Khan mit sich führt. Dieser wird dadurch als Bösewicht eher ins zweite Glied gesetzt, allerdings entfernen sich die Filmemacher bei der Darstellung der Mongolen deutlich von der borderline-rassistischen Vorlage des Originals. Die Mongolen sind keine halben Dämonen, sondern eben "nur" ein kriegerisches Volk, das im Konflikt mit China steht.
Mulan wird gespielt von Yifei Liu, die in ihrer Heimat bereits ein großer Star ist und auch hier eindeutig die Szene bestimmt. Mit Charisma und Einfühlungsvermögen füllt sie die Rolle aus. Die Kontroverse um ihre öffentliche Unterstützung der chinesischen Staatsmacht bei den Hongkong-Protesten in diesem Jahr ist mittlerweile völlig in den Hintergrund gerückt. Da die Pandemie sowieso keine Interview-Tour erlaubt, kann man auch damit rechnen, dass sie sich keinen harten Fragen westlicher Journalisten stellen muss.
Was ihre Leistung im Film angeht, so ist sie unbestritten der Star und weiß sich in einem Ensemble großer Namen zu behaupten.
Man hat die Nebenrollen mit vielen Altstars des chinesischen Kinos besetzt. Allen voran Donnie Yen, der als Kommandant Tung hervorsticht. Die Figur des Li Shang aus der Zeichentrickvorlage wurde hier auf zwei Charaktere verteilt. Mulans Heerführer ist Tung, während der Part des jüngeren Love Interest von einem Charakter namens Chen verkörpert wird. Die Ambivalenz um Li Shangs Sexualität, die ihn in bestimmten Kreisen zu einer Bi-Ikone machten, wird hier zumindest nicht völlig weggewischt (selbst im Original war sie kaum vorhanden, bzw. eher Gegenstand von freien Interpretationen) – wer möchte, kann auch in Chen jemand sehen, der zumindest ein gesteigertes Interesse an seinem Kameraden Hua Jun hat, wie sich Mulan als Mann nennt.
Jet Li tritt als chinesischer Kaiser auf, ist aber tatsächlich kaum unter Bart und Make-Up zu erkennen. Dennoch darf auch er noch ein wenig Kampfkunst vorführen. Der Martial Arts-Star leidet seit längerem an einer Krankheit, die es ihm verweigert, Actionfilme wie früher zu drehen. Hier kann man den Altmeister noch einmal – wenn auch kurz – erleben.
Großes Kino für die kleine Leinwand
Mulan ist ein gutes, eigenständiges Remake geworden, erwachsener im Anspruch, ohne dabei die Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen aus dem Auge zu verlieren.
Große Schlachtsequenzen mit toller Kameraarbeit und guten Einzel-Kampfszenen, die nicht aufgesetzt oder albern wirken, machen großen Spaß und wissen auch mit Spannung aufzuwarten. Überhaupt wird viel mehr Wert auf Drama und den Kampf von Mulan um ihre Anerkennung in einer männderdominierten Welt gelegt.
Mulan möchte eine Mischung aus Wuxia- und Hollywood-Kino sein. Das gelingt dem Film auch und stellt ihn natürlich dadurch in eine einzigartige Position.
Jetzt könnte man natürlich auch sagen, dass er nichts halbes und nichts ganzes ist. Weder klassischer westlicher Actionblockbuster, noch poetisches Kampfkino aus China. Weder ein klares und lautstarkes Bekenntnis zu feministischen Standpunkten, noch eine Absage zu selbigen.
Tatsächlich nimmt der Film einen Mittelpunkt ein, der es dem Zuschauer erlaubt, in der größeren Bedeutung und Analyse das zu finden, was er gern darin sehen möchte. Ansonsten bekommt man ein unterhaltsames und auch mitunter mitreißendes Werk serviert, das sich gut für einen Familienabend eignet.
Allerdings ist es schade, dass die Ansprüche einer großen Leinwand nicht mehr erfüllt werden. So ein Film gehört ins Kino und macht dort auch den besten Eindruck.
Zur Eingangsfrage, ob es sich lohnt, dafür so viel Geld hinzulegen, kann man sagen: nur für Familien oder größere Gruppen, die ihn zusammen sehen wollen oder Fans, die sich wirklich darauf einlassen wollen, bei den Disney-Remakes mal etwas anderes vorgesetzt zu bekommen.
Wer gerne den Film von 1998 in real erleben will, wird enttäuscht werden – kann sich aber auf der anderen Seite positiv überraschen lassen.
Für mich ist Mulan das bislang beste Remake aus dieser merkwürdigen Filmreihe, die Disney ins Leben gerufen hat und zumindest bis hierhin auch das einzige, das man in 20 Jahren noch für seine eigenen Vorzüge anschauen wird.