Was haben Doctor Who und Udo Jürgens gemein? Und warum sollte man Gutscheine lieber erstmal prüfen, bevor man sie einlöst?
Endlich mal Urlaub...
... war es, was Graham wohl dachte, als er den Gutschein für ein Spa-Erlebnis in die Finger bekommt. Schwups, wird die TARDIS Fam wegteleportiert und rematerialisiert in einem kleinen, aber sehr schicken Urlaubsresort an einer traumhaften Küste. Doch bevor überhaupt jemand die Handtücher aus dem Schrank holen kann, geht der Ärger schon los.
Das Resort wird von einem Virus angegriffen, das sowohl Lebewesen als auch Computer befällt und Ryan wird eines der ersten Opfer. Zugleich versuchen grausige Kreaturen einzudringen, die die beiden "Sicherheitsleute" nicht wirklich abwehren können.
Und das Spa ist auch nicht echt, sondern nur eine kleine hermetisch verriegelte Kuppel mit holografischen Projektoren an den Wänden. Die Kreaturen dringen ein und töten und entführen Gäste. Der Doctor zwingt die Betreiber daraufhin, mit ihr und ihren Freunden hinterher zu gehen.
Wie es sich herausstellt, ist der Planet auf dem man sich befindet, das genaue Gegenteil eines Ferienparadieses. Es ist eine unwirtliche, unbewohnbare Welt, die seit langem verlassen wurde, weil sie nicht mehr zum leben taugte. Ein sogenannter Orphan (also Waisen-) Planet, von denen es mehr gibt, als man glauben möchte. Aber diejenigen, die man auf diesem Orphan Planet Nr. 55 zurückließ, haben überlebt und sich über Generationen durch Mutation angepasst und sind umso gefährlicher.
Gefechte, Bomben, Jagdszenen!
Orphan 55 ist, um Madame Vastras Ein-Wort-Test zu benutzen: wild.
Langsames Geschichtenerzählen ist nicht das Gebot dieser Staffel. Die TARDIS Fam, die Gäste, die Reparatur-Crew und die Resort-Betreiber hetzen von einer gefährlichen Situation in die nächste. Da wird vieles sehr schnell abgehandelt, bzw. nur kurz angerissen. Es geht um die alte und aufkeimende Liebesbeziehungen, ein zerrüttetes Mutter-Tochter-Verhältnis, geheime Pläne und eine schreckliche Enthüllung (mehr dazu unten in der Spoiler-Sektion).
Das ist durchaus spannend und rasant erzählt. Dass die Nebenfiguren dabei sogar noch im Kopf bleiben, ist schon eine kleine Sensation, wenn man bedenkt, wie wenig Zeit im Grunde jeder bekommt. Vieles erinnert an die klassische Doctor Who-Serie und tatsächlich könnte man aus dieser Episode einen Mehrteiler mit halbstündigen Folgen machen.
Das ist alles an sich nichts schlechtes, dennoch kommt alles sehr plötzlich und man fühlt sich hinterher auch etwas erschlagen. So entpuppt sich ein Gast als die Tochter der Resortbetreiberin, die sich heimlich eingeschlichen hat, um die ganze Anlage in die Luft zu sprengen – nebenbei scheinen bei Ryan und ihr etwas die Funken zu fliegen... Und das ist nur EIN Handlungsstrang.
Fast wirkt es so, als hätte Autor Ed Hime nichts aus seinem Drehbuch streichen wollen, egal ob er nur 45 Minuten dafür Zeit hat oder nicht.
Gut gelungen sind auf jeden Fall die Dregs, die feindlich gesinnten Kreaturen. Sie wirken wirklich furchteinflößend, zumindest in Nahaufnahmen. Die Schauspieler konnten sich in den Kostümen wohl nicht sonderlich schnell bewegen, daher setzt man in der Inszenierung eher darauf, sie ständig zu nah herankommen zu lassen. Vermutlich wäre bei einem etwas größerem Budget noch mehr drin gewesen, für Doctor Who/BBC-Verhältnisse geht das aber in Ordnung. Tatsächlich holt Regisseur Lee Haven-Jones sehr viel aus begrenzten Sets, Kostümen und Effekten heraus.
Man könnte die Folge nun als einfaches, unterhaltsames Füllmaterial abtun, wäre da nicht noch die Botschaft, die im Vordergrund steht.
AB HIER SPOILER (aber keine schlimmen)
"It is one possible future"
Die schreckliche Enthüllung, die die Freunde des Doctors erfahren müssen, ist natürlich, dass der verlassene und vollkommen unwirtliche Waisenplanet die Erde ist. Die Erde in einer weit entfernten Zukunft.
Tatsächlich ist dies für Doctor Who-Kenner auch nichts neues. Zum Beispiel befanden sich schon in der Story "The Sontaran Experiment" von 1975 der 4. Doctor und seine Begleiter 10.000 Jahre in der Zukunft auf einer unbewohnten Erde wieder (und trafen dort das erste Mal auf die namensgebende Kriegerrasse).
Hier geht man aber einen Schritt weiter und macht die globale Erwärmung als Grundursache für das Schicksal des Planeten aus. Subtil geht anders, möchte man sagen. Schließlich würde man auch die Botschaft verstehen, ohne direkten Bezug auf die Gegenwart zu nehmen. Aber Kunst ist eben auch immer eine Reflexion der Zeit, in der sie entsteht. Und Kunst ohne Haltung ist auch nur wenig mehr als Kommerz. Insofern unterscheidet sich diese Art von Science Fiction nicht von der, die z.B. vor 30 Jahren die atomare Zerstörung der Welt zum Thema hatte.
Im Grunde haben wir es mit einer Mischung aus Planet der Affen und I am Legend zu tun, die jedoch auf aktuellen Umständen beruht. Wissenschaftliche Fakten werden zum Spielball von Populisten, die für ihre kurzfristen Erfolge das langfristige Dasein der Menschheit ignorieren. Aus Machtstreben werden Ängste ausgenutzt und neue geschürt. Wer Geschichten erzählen will, an dem kann diese Realität nicht spurlos vorbeigehen.
Aber man muss es schon mit Genuss sehen, wie die Macher von Doctor Who den Internet-Trollen, die die Serie seit der Bekanntgabe eines weiblichen Doctors belagern, den Mittelfinger zeigen. Wer es sich antun möchte, kann die User-Bewertungen der 11. Staffel auf imdb lesen. Dort wird jeder Anflug von gesellschaftlich relevanten Themen wie Rassismus, Sexismus u.ä. als liberale Propaganda abgetan. Man möchte doch lieber Unterhaltung bringen, anstatt einem eine Weltanschauung aufzwingen, wird gefordert... Daher sind die Folgen auch mit 1-von-10-Sternen-Bewertungen geflutet.
Dass man beim Thema Klima-Veränderung dementsprechend unsubtil vorgeht (gerade was die Schlussrede des Doctors angeht), zeigt die Unbeirrtheit der Produzenten. Es wird ja vor allem gern so getan, als seien die Forderungen nach Klima- und Umweltschutz etwas neues, womit junge Linke die Welt der älteren Generation komplett verändern wollen. Der diffamierende Begriff "Klima-Hysterie" wurde gerade zum Unwort der Jahres 2019 gekürt.
Dabei war das schon zu Zeiten des 4. Doctors ein Thema. Man höre sich nur "Tausend Jahre sind ein Tag" von Udo Jürgens an – das aus "Es war einmal... Mensch" bekannte Lied hat auch noch sehr interessante weitere Strophen, die fast genau wieder und immer noch in unsere Zeit passen.
Udo Jürgens war 1979 ebenfalls nicht gerade subtil, was die Botschaft anging. Für meinen Geschmack hätte es die Folge auch etwas weniger offensiv angehen können, um so auch Menschen zum Nachdenken zu bringen, die sich in ihrer Blase verstecken. Auf der anderen Seite tut manchmal ein Wink mit dem Zaunpfahl aber auch seinen Dienst.
Wobei man auch anmerken muss, dass sich die damit verbundenen Themen in den Gast-Figuren wiederfinden: Die Jugend, auf die nicht gehört wird, die Verlassenen und Vergessenen, die es nach Rache dürstet, die Gier, die nie ein gutes Ende findet. Aufopferung und Zusammenhalt sind die Tugenden, die es braucht, um zu überleben.
Das alles spiegeln die Charaktere wider. Dies ist wiederum sehr subtil eingeflochten und kommt durch die überstrahlende Message leider erst beim zweiten Hinsehen zum Vorschein.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Orphan 55 eine spannende, wild erzählte Folge ist, bei der alles leider etwas zu kurz kommt. Es rauscht alles schnell vorbei; das sorgt für gute kurzweilige Unterhaltung, es hätte aber eindrücklicher sein können.
Fotos: © 2020 BBC