Heute geht es um verkorkste Sehgewohnheiten und die Eroberung des Filmmarktes durch China. Den Anfang macht aber natürlich erstmal ein Weltuntergang.
Wir packen unsere Sachen und nehmen mit…
Da bemüht man sich als Menschheit, die von uns ausgebeutete Erde noch zu retten und Dinge wie das Ansteigen des Meeresspiegels oder dem allgemeinen Klimawandel abzuwenden – und dann das. Die Sonne stirbt.
Besser gesagt, sie expandiert aus und droht somit die Erde zu vernichten. Was also tun? Eine neue Heimat finden?
Ja! Mit Abertausenden an Schiffen durchs All reisen, in der Hoffnung einen neuen Planeten zu entdecken, der uns auf ihm leben lässt? Ziemlich gewagt oder? Warum also nicht gleich den gesamten Planeten mitnehmen? Richtig gelesen. Mithilfe riesiger Fusionstriebwerke wird die Erde in Richtung neuer Heimat geschoben und das in einem Zeitraum von gerade einmal 2.500 Jahren.
Geleitet wird dieses gigantische Unterfangen von den vereinten Nationen, bei denen China eine Führungsposition übernommen hat. Um das Überleben von so vielen Menschen wie möglich zu gewährleisten, werden direkt unter den Triebwerken unterirdische Städte errichtet. Da aber selbst tausende davon nicht ausreichen, um sämtliche Menschen zu retten, wird in einem Losverfahren entschieden, wer leben und wer sterben muss. Um nun die Erde in die richtige Bahn zu leiten, muss selbige aber erst einmal aus ihrer eigenen Rotation gebremst werden. Ein Vorgang, der natürlich Folgen hat und so zum Beispiel riesige Tsunamis auslöst. Der Auftakt zur beschwerlichen Reise der Menschheit hat begonnen.
Ein Chinese als Held? Warum nicht?
Es wirkt irgendwie befremdlich. Da ist man jahrelang daran gewöhnt, den großen amerikanischen Mann mit breiter Brust, sowie der Waffe in der einen und die hübsche Frau in der anderen Hand zu sehen und dann sowas.
Plötzlich stehen eine Handvoll Chinesen im Mittelpunkt der Handlung. Jener Charaktertyp, der sonst als kalt, gefühlsarm und stets belehrend dargestellt wurde. Um nun einmal einen Bernd Hoecker zu zitieren: „Wieso das denn?“ Denn prinzipiell gehören derlei Typisierung schon lange nicht mehr ins aktuelle Weltgeschehen und somit auch nicht ins Kino. Angefangen beim Bild der Frau, bis hin zu der Darstellung einzelner Nationen. So etwas gehört sich nicht und zum Glück tun Filmstudios bereits vieles dafür, diesen Eindruck zu ändern.
Hier nun also hauptsächlich Chinesen in den Hauptrollen zu sehen, sollte wirklich niemanden stören. Deutlich schwieriger ist da der Einsatz von überpathetischen Stilmitteln. Dazu aber später. Erst einmal muss man nämlich über die Dinge reden, die Die wandernde Erde richtig macht und das sind einige. Da wäre zum einen erstmal das so ziemlich unverbraucht Setting, in das uns der Film versetzen will. Der Plan aus der gesamten Erde eine Art planetarische Arche Noah zumachen, wirkt zu Beginn total überspitzt und nicht umsetzbar. Mit der Zeit wandelt sich aber dieser Eindruck und es entsteht die Art von Akzeptanz, die dieser Film auch braucht.
Mit der Gatling Gun gegen den Weltuntergang
Ein weiteres Highlight der Produktion ist hingegen ohne jede Frage der Aufbau und Ausstattung der einzelnen Sets. Damit sind nicht etwa die gewaltigen CGI-Panoramen gemeint, die uns etwa ein zum Gletscher gefrorenes Shanghai zeigen, sondern die einzelnen und realgefilmte Handlungsorte. Wie beispielsweise die vergrößerte Internationale Raumstation mit ihrer großen und bunt zusammengestellten Besatzung vorausfliegt und als Steuerpunkt und Notfallarche dient.
Bereits da zeigt Die wandernde Erde seine Liebe und Leidenschaft für Details. Ebenfalls bemerkenswert sind aber auch die Rüstungen oder Schutzanzuge der Protagonisten. Diese wirken stets futuristisch und auch realistisch genug in ihrer Darstellung und Nutzung.
Konzept und Nutzen scheinen hier tatsächlich Hand in Hand zu gehen und nicht irgendwie übertrieben zu wirken – abgesehen von einer gewissen Gatling Gun, die schnell Erinnerungen an War Maschine weckt. Trotzdem, das Produktionsdesign hinter dem Film überzeugt und das eben in vielerlei Dingen.
Was die generellen Effekte angeht, so kommt hier der Film ein wenig ins Straucheln. Grundlegend gibt es aber auch hier wenig zu meckern. Ein Umstand, der bei so manchem Charakter jedoch leider nicht angewandt werden kann. Ob nun bei den Hauptfiguren selbst oder die einzelnen Nebendarsteller, hier zeigt sich Die wandernde Erde von seiner schwächsten Seite.
Dies liegt vor allem an der oben angesprochenen Überspitzung an pathetischen Elementen. Drama wird hier stets großgeschrieben und ebenso gespielt. Eine heroische Ansprache folgt der nächsten und natürlich darf auch nicht der größtmögliche Einsatz fehlen, um das Überleben aller oder einzelner Charaktere zu sichern. Sowas wirkt weder neu noch wirklich gut.
China und das Stück vom Kuchen
Die wandernde Erde wandelt auf teils bekannten Pfaden und erinnert in so manchen Momenten an seine Bruder aus dem Westen. Gerade die Actionszenen atmen meist dieselbe Luft wie große Hollywood-Blockbuster. Wer nun glaubt, dies sei eigentlich nicht nachvollziehbar, der irrt. Chinas Kinomarkt hat sich in der letzten Jahren stark verändert und ist zu einem der größten der Welt geworden.
Wie groß wirklich, bewies zuletzt Avengers: Endgame der innerhalb der ersten Woche bereits über 500 Millionen US-Dollar Einspielergebnis in der Volksrepublik vorweisen konnte. Chinas Filmindustrie weiß um diese Zahlen und will entsprechend auch die Möglichkeit nutzen. Mehr und mehr Kinos entstehen und auch die Filmindustrie macht fleißig mit und produziert vermehrt eigene Filme fürs große Publikum. Bereits in wenigen Jahren wird sich China zum wohl größten Anbieter und Abnehmer im Bereich Film entwickelt haben.
Werke wie Die wandernde Erde zeigen, in welche Richtung es künftig gehen kann. Die Verfilmung von Liu Cixin gefeierter Kurzgeschichte bildet vielleicht nun auch den ersten großen Schritt Chinas auf diesem Weg. Als Zuschauer kann man also gespannt sein, wie sich all dies noch weiterentwickelt und welche kommenden Abenteuer uns noch beglücken werden. Nicht um umsonst heißt es doch: Konkurrenz belebt das Geschäft.
Und solange solch gut unterhaltende Filme wie dieser entstehen, kann man das auch sehr begrüßen.