Die Doctor möchte ihre neuen Freunde einfach nur nach Hause bringen – hat jemand gezählt, wie viele Doctor Who-Stories auf diese Weise beginnen?
Natürlich funktioniert das nicht, die TARDIS hat ihren eigenen Willen und nach mehreren Fehlversuchen, sie zurück nach Sheffield in unsere Zeit zu steuern, gibt die Doctor nach. Sie landen im Jahr 1955 in Montgomery, Alabama und begegnen dort Rosa Parks. Die Frau, die mit ihrem kleinen Protest gegen die Rassentrennung in den USA den Funken für die große Bürgerrechtsbewegung zündete. Und das schon morgen.
Das kann kein Zufall sein... (Nee, echt? Wohl noch nie Doctor Who gesehen?)
Wer braucht feindliche Alienplaneten?
Eine auffällige Energiesignatur lässt darauf schließen, dass jemand an diesem Ort ist, der wie das Helden-Quartett nicht in diese Zeit gehört. Will jemand in die Geschichte eingreifen, um Rosa Parks an ihrem Protest gegen die Rassentrennung in Bussen zu hindern?
Das ist genau der Fall. Ein Ex-Sträfling aus einem fernen Jahrhundert hat diesen Zeitpunkt als Wurzel seines Schicksals ausgemacht (aus rein rassistischen Motiven) und will hier die Geschichte der Menschheit entscheidend umändern.
Diesem Umstand kommt die Doctor allerdings sehr schnell auf die Spur. Es geht in dieser Folge vielmehr um die Frage, wie der Fremde das anstellen will und wie die vier ihn daran hindern können. Er ist trotz eingeschränkter Möglichkeiten, was Technologie und auch Sachverstand angeht, scheinbar recht clever und zunächst immer einer Schritt voraus.
Genauso bedrohlich wie der Zeitreisende ist allerdings auch die Gesellschaft, in der sich die Doctor und ihre Gefährten befinden. Inmitten dieses erdrückenden Rassismus, der über allem liegt wie die schwüle Luft in Alabama, kann ein falscher Schritt schlimme Konsequenzen haben. Der schwarze Ryan und die pakistanischstämmige Yaz werden schief angesehen, angebrüllt und in einem Fall auch geschlagen.
Wer unter solchen Menschen ist, braucht sich vor feindlichen Aliens nicht zu fürchten.
Kleine Handlungen mit großer Wirkung
Dass man in Doctor Who historischen Persönlichkeiten begegnet, ist eine lange Tradition und deckt alle Facetten des Geschichtenerzählens ab. Sei es episch mit Marco Polo, sei es gruselig amüsant mit William Shakespeare oder anrührend mit Vincent van Gogh, Doctor Who kann Berühmtheiten gut in Szene setzen. Dabei kann die Serie auf den Luxus zurückgreifen, Vergangenes aus der heutigen Sicht zu bewerten und einzuordnen. Schlechte Historienschinken machen das mit ihren Figuren, die eigentlich aus jener Zeit stammen, Doctor Who muss sich dem gar nicht erst stellen.
Umso bemerkenswerter ist es, dass man sich gerade diese Zeit und diesen Ort ausgesucht hat. Wer dachte, dass die neuen, dunkelhäutigen Charaktere kommentarlose Beispiele für Diversität bleiben, hat sich getäuscht. Dank Ryan und Yaz können wir als Zuschauer (vor allem als hellhäutige) nachvollziehen, was systematischer Rassismus damals im Alltag wirklich bedeutet hat.
Sie werden z.B. aus Restaurants geschmissen oder müssen in einem Motel für Weiße durchs Badfenster einsteigen, denn sie können es sich nicht leisten aufzufallen. So tief verankert ist hier die Benachteiligung von Farbigen, dass selbst die Doctor nichts ausrichten kann (und auch nicht darf, wie man dann später noch sieht). Zu Beginn will Ryan höflich sein und einer weißen Frau ihr runtergefallenes Taschentuch reichen. Dafür fängt er sich eine Ohrfeige vom Ehemann der Dame ein. Wie kann er es wagen, sie an der Schulter anzutippen?
Im Gespräch mit Yaz wird aber klargemacht, dass der Rassismus zwar viel extremer ist als im Jahr 2018, aber für Ryan auch nichts neues darstellt. Er spricht über seine Wut, wenn er so behandelt wird und wie er diese Wut runterschlucken muss, um dem Gegenüber ja "keinen Grund zu liefern". Es ist dieses nebenbei laufende Gespräch, das einen der stärksten Momente in der noch jungen Staffel darstellt.
Wenn man bedenkt, dass Doctor Who nur acht Jahre nach dem hier behandelten historischem Ereignis startete, wird einem klar, wie nahe diese Welt doch noch eigentlich ist.
»Don't threaten me«
Es ist aber wie immer die Doctor, die hier versucht, alle Fäden zusammenzuführen. Besonders begeistert, wie schnell sie den zunächst noch gefährlich wirkenden Gegner auf Normalmaß zurechtstutzt. Shades of Capaldi könnte man wohl anbringen, denn ein bisschen "no Bullshit"-Attitüde des 12. Doctors blitzt hier durch. Dass der nominelle Bösewicht dann aber doch noch ein paar Asse im Ärmel hat, macht das ganze nur interessanter. Dennoch verwundert sein eher schnelles Ende dann doch und wir können vermuten, dass es noch nicht das letzte Mal war, dass wir ihn gesehen haben.
Auf jeden Fall lässt sich weiterhin festhalten, wie wohl sich offenbar Jodie Whittaker in der Rolle fühlt, auch wenn sie bisher noch eher im kleinen Rahmen ihr Können zeigen durfte. Es sind viele kleine Bemerkungen, die nach und nach ihren Charakter formen (und doch so vertraut erscheinen). Man darf gespannt sein, ob ihr eine große "Doctor-Ansprache" gegönnt ist.
Derweil treten auch die anderen Charaktere immer deutlicher hervor. Besonders Graham darf hier in einer wunderbar witzigen Szene glänzen, wenn er einem Polizisten eine Geschichte auftischen muss, warum er in der Stadt ist – mit seiner lieben kleinen Frau, versteht sich. Der Blick von der Doctor, als Graham den Arm zur Tarnung um sie legt, ist Gold wert.
Graham ist kein alberner Comic Relief, er wird eher sparsam, dafür umso pointierter eingesetzt. Ansonsten wird ihm die Rolle des erfahrenen, manchmal auch weisen Älteren zugeteilt.
Yaz will sich weiter beweisen, das spürt man deutlich. So wie sie zu Beginn der Staffel bei der Polizei hervorstechen will, so versucht sie auch hier, ihre Mitstreiter zu beeindrucken. Ryan nimmt ohnehin mehr den Platz des einfachen Normalos ein, der für den Zuschauer das Tor zur Welt der Doctor ist. Dennoch beigeistert er sich an diesen Abenteuern und als er die Gelegenheit bekommt, Rosa Parks näher kennenzulernen, da sie eine Heldin seiner Großmutter ist, nimmt er sie wahr und darf gleich darauf Martin Luther King die Hand schütteln. Für beide Charaktere geht es darum, sich zu beweisen, zu wachsen und Selbstbewusstsein zu tanken.
Die Charaktere wachsen einem also weiter ans Herz und die Entscheidung gleich drei Companions einzuführen, erweist sich nicht als Hindernis, wie vielleicht mancher vorher vermutet hatte. Tatsächlich erinnert die Aufgabenteilung bei der Lösung des Falles sehr an die Scooby Gang von Buffy – kein falsches Vorbild, möchte man sagen. Tatsächlich fällt auch das Wort "Gang".
TARDIS-Gang.
Nehmen wir?
Okay.
Fazit
"Rosa" ist eine starke Episode, dicht erzählt und mit einem Finale, das an den Nerven zerrt, allerdings nicht aus den Gründen, die man vielleicht annehmen könnte. Doctor Who schreckt nicht davor zurück, sich innerhalb des Serienuniversums klar und auch spürbar beklemmend mit Rassismus auseinanderzusetzen.
Der erwachsenere, düstere Ton setzt sich somit fort, auch wenn das pittoreske 50er-Jahre-Montgomery nicht so bedrohlich wirkt. Auf den ersten Blick zumindest. In der kommenden Folge wird es nicht weniger widerlich: Etwas merkwürdiges ist mit den Spinnen von Sheffield los...