Mit mächtigem Schnäuzer und französischem Akzent wirft sich Kenneth Branagh in die Rolle des Meisterdetektivs Hercule Poirot – und übernimmt als Regisseur gleichzeitig auch noch den Chefsessel in seiner Modernisierung des Klassikers von Agatha Christie. Zu viel kreative Verantwortung in denselben Händen? "Mord im Orientexpress" ist schlussendlich ein zwiespältiger Film geworden.
"Unter uns ist ein Mörder!"
Die Story sollte in groben Zügen allgemein bekannt sein und wird vom Drehbuch schnörkellos umgesetzt: Der Ermittler Hercule Poirot genießt eine Reise im luxuriösen Orientexpress. Natürlich wird seine Ruhe schnell durch einen Mord auf offener Strecke gestört. In den eingeschneiten Karpaten weit und breit ohne Polizei beginnt der gutmütige Belgier mit der Suche nach dem Attentäter – der mitten unter den Gästen sein muss. Für Kenner des Buches hält der Film viel Fanservice und Detailtreue bereit. Ohne Kenntnis des Werkes wirken manche Darstellungen aber etwas überkandidelt und unglaubwürdig. Hier empfiehlt sich dringend die vorherige Lektüre – auch da Finale und Auflösung nicht ausreichend Spannung erzeugen, um den Film allein zu tragen. Er ist mehr eine Adaption für Fans, die sich an seinen opulenten Szenerien erfreuen können. Zu viele handwerkliche Fehler verhindern, dass er wirklich eigenständig als Krimi funktionieren könnte. Denn "Mord im Orientexpress" ist bisweilen schmerzhaft langweilig – Gift in diesem Genre.
"Isch bin der größte Detektiv der Welt!"
Am Hauptcharakter liegt es nicht. Branagh vermag Poirot glaubwürdig als melancholischen älteren Herrn darzustellen, dessen Genie vor allem seinen Zwangsneurosen entspringt. Auch sonst überzeugen die Schauspielleistungen durchweg, woran der prominente Cast nicht ganz unschuldig sein dürfte. In diesem Kammerspiel ist fein justierte Darstellungskunst von zentraler Wichtigkeit, deren Überzeugungskraft leider die exzessive Verwendung von Akzenten empfindlich stört. Die differenzierten Auszeichnungen aller Charaktere werden dadurch ins Holzschnittartige gezogen. Andererseits wäre etwas mehr Klischee vielleicht gar nicht so schlecht gewesen, um dem Zuschauer den Überblick über das gute Dutzend Verdächtiger zu erleichtern. Was allerding wiederum der komplexen Tragik der Hintergrundgeschichte negiert hätte.
"Wie ‘eißt das Wort? Käse!"
Auch sonst ringt der Film sichtbar mit dem Spagat zwischen bildgewaltiger Massentauglichkeit und anspruchsvollem Tiefgang. Die Suche nach dem roten Faden für die Grundstimmung gerät zu seiner wahren Detektivgeschichte: Beginnend als farbenprächtiges Reiseabenteuer, versucht er sich im Mittelteil erfolglos an hypnotisierender Langsamkeit – die sorgsam komponierten Gespräche mit den Verdächtigen sind inhaltsleer, Kameraführung und Bildkomposition bei der Indiziensuche offenbaren zwanghafte Künstelei. Es ist ein lobenswertes Unterfangen, den aktuellen Schnittgewittern im Spannungs-Genre etwas Entschleunigung entgegenzusetzen. Minutenlang von oben auf die Köpfe der Protagonisten zu starren, strapaziert aber die visuelle Geduld des Zuschauers über Gebühr. Der plötzliche Umschwung am Ende hin zum ergreifenden Drama will durch jene Zusammenhanglosigkeit nicht mehr recht zünden.
Fazit
Liegt es vielleicht an Abspann-Dominator Kenneth Branagh selbst, dem in seiner allwaltenden Position externe Kritik fehlte? Warum der Film so hartnäckig zwischen verschiedenen Stilen umhermäandert, ist schwer zu deduzieren. Eine konsequentere Perspektive aus Sicht des überpeniblen Kopfmenschen Poirot wäre sicherlich interessanter gewesen als dieser Anbiederungsversuch loser Erzählmotive. So halten sich die Zuschauer-Sympathien für die blassen Nebencharaktere in Grenzen. Die Fahrt im Orient-Express verläuft fast schon zu ruhig, verschwendetes Potenzial trübt den Glanz des wunderschönen Setdesigns. In seiner statischen Inszenierung und seinen ungeschickt aufgetischten Emotionen erinnert der Film eher an eine Mischung aus Theaterstück und ZDF-Fernsehdrama. Lediglich für Liebhaber des Buches dürfte "Mord im Orientexpress" durchaus eine gelungene Modernisierung sein, die den Text äußerst adrett zu bebildern versteht.