Der Superhelden-Film, auf nun wirklich alle mit großer Spannung gewartet haben, startet am 28. April in den Kinos. Das Aufeinanderprallen der Helden, wo Freunde zu Feinden werden - so wurde es beworben. Kann "Civil War" dem Hype gerecht werden?
Captain America v Iron Man
Die Marvel-Methode, verschiedenen Superhelden Gastauftritte in den Filmen der eigentlichen Hauptcharaktere zu geben, hat sich über die Jahre immer mehr ausgeweitet. Zweck war, die verschiedenen Storylines auf die Avengers-Filme hinzuführen, in denen dann alle Helden zusammenkommen, um die Welt zu retten. Dies betraf bisher vor allem die Nebencharaktere (vor allem aus dem S.H.I.E.L.D.-Lager), nun sprengt man die letzten Fesseln dieser Beschränkung auf. In Captain Americas drittem Solo-Abenteuer spielt Iron Man alias Tony Stark eine sehr wichtige Rolle.
Doch nicht nur er, sondern fast die gesamte A-Riege der Avengers ist hier vertreten. Ist Captain America 3 also in Wirklichkeit Avengers 2.5? (Wie der dämliche deutsche Titel "The First Avenger" vielleicht nahelegt?)
Nein, so einfach ist es nicht. Zentraler Charakter in diesem Film ist Captain America. Seine Handlungen und auch seine Vorgeschichte (sprich: die beiden ersten Cap-Filme) sind Ausgangspunkt von "Civil War". Um es gleich vorwegzunehmen (und das ist kein Spoiler), der Film basiert nicht direkt auf dem gleichnamigen Comic-Epos, sondern nimmt daraus Anleihen und Motive, um diese mit den Geschehnissen und Figuren des Marvel Cinematic Universe zu verknüpfen.
Die Ausgangsituation ist sehr ähnlich. Zu Beginn müssen die Avengers eine Aktion des Schurken Crossbones alias Brock Rumlow stoppen, der ohnehin noch eine Rechnung mit Cap offen hat (s. "Winter Soldier"). Dabei läuft einiges schief, Unschuldige sterben und die Avengers müssen sich dem Zorn der Öffentlichkeit stellen.
Die Regierungen der Welt akzeptieren nicht länger, dass die Avengers ohne Kontrolle operieren. Ein spezielles Abkommen soll das Superheldenteam den Vereinten Nationen unterstellen. Wer sich dem verweigert, muss in den "Ruhestand". Tony Stark ist dafür, er leidet unter den Folgen seiner Einsätze als Iron Man und sein kaputtes Privatleben kommt noch obendrauf. Vom fröhlichen Lebemann der ersten "Iron Man"-Filme ist wenig übrig. Er sieht dies als Schutz für Unschuldige. Steve Rogers findet diese Vorgehensweise schlicht falsch, er will sich nicht der Agenda von Politikern unterwerfen, die sogar einen Rettungseinsatz verhindern könnten.
Das Dilemma, in denen die Avengers stecken, ist aber kein reines Schwarz und Weiß. Jede Seite hat gute Argumente. Doch natürlich geht es nicht einfach so weiter, vielmehr ist das erst der Anfang. Auf ein Unglück folgt das nächste. Caps Jugendfreund Bucky taucht wieder auf und im Hintergrund spielt ein geheimnisvoller Fremde (gespielt von Daniel Brühl) ein eigenes Spiel.
Helden im Krieg – untereinander
Die große Stärke des Filmes ist die Eliminierung einer großen Schwäche aller MCU-Filme: das Fehlen eines guten, wirklich bedrohlichen Bösewichts. Man hatte gehofft, dass dies mit Ultron im zweiten "Avengers"-Film anders werden würde, was nicht eintrat. Auch diese Ikone des Bösen blieb unter ihren Möglichkeiten. Bislang blieb vor allem Loki im Gedächtnis, der aber weniger gefürchtet als heimlich geliebt wird.
Hier fehlt so etwas wie ein Big Bad Guy. Vielmehr werden die Figuren und ihre Motivation geschickt miteinander verwoben, um einen glaubhaften und mitreißenden Konflikt zu entfesseln. Selbst Daniel Brühls Charakter ist kein eindimensionaler Schurke. Auch er hat nachvollziehbare Gründe, die sich aber erst Schicht für Schicht entblättern.
War "Captain America: The Winter Soldier" im Grunde ein geradliniges Agentenabenteuer, so geht "Civil War" noch einen Schritt weiter und wird zum Action-Drama. Nicht nur die Handlungen dieses, sondern aller vorangegangenen Marvel-Filme (besonders "Age of Ultron") haben Auswirkungen auf die Helden. Dabei fühlt sich alles vollkommen organisch an. In "Age of Ultron" dienten einzelne Handlungsteile nur als Kupplung zu den kommenden Filmen, hier fügt sich eins zum anderen und lässt die Handlung an einem Stück fließen. Dies betrifft die Nebencharaktere ebenso wie die neu eingeführten Figuren. Mit einer Ausnahme, die aber verzeihbar ist (s. mehr in den Spoilern).
Ähnliches gilt auch für die Action-Choreographie. Größtenteils bauen die Regisseure wie schon beim Vorgänger auf sehr direkte, realistisch gestaltete Kämpfe (wenn man das bei einem Superheldenfilm sagen kann). Tatsächlich ist dies aber auch der Tatsache geschuldet, dass man mittlerweile die Fähigkeiten der Figuren sehr gut kennt. Sie werden also nicht als reine Vorzeigespielereien eingesetzt, sondern fügen sich ebenso nahtlos in die Handlung ein. Man sieht hier fast nur Action, die eindeutig durch die Handlung und die Charaktere motiviert ist, was dem ganzen mehr Realismus verleiht als es Zack Snyders Brutalo-Orgien je könnten. Insgesamt hat man aber im Vergleich zu den Vorgängern aber noch ein paar Schippen draufgelegt.
Einziger Wermutstropfen ist (besonders am Anfang) der Einsatz von Handkameras mit hoher Verschlusszeit. Heißt, die Bilder wackeln und haben diesen "Ruckel-Effekt", den man z.B. aus Gladiator kennt. Da sich das im Verlauf des Films legt, kann man auch hier die Absicht unterstellen, die Szene unübersichtlicher zu gestalten, was durchaus zur Situation passt. Dennoch: Wenn man zu nahe an der Leinwand sitzt, wird dies wenig Freude bereiten.
Aber auch humorvolle Momente werden nicht vergessen. Die sind zwar seltener als etwa bei den "Avengers"-Filmen, wirken aber nicht aufgesetzt, sondern nehmen hin und wieder den Dampf aus dem Kessel, damit dieser nicht zu früh hochgeht.
Fazit (vor den Spoilern)
"Captain America: Civil War" fühlt sich richtig an. Besser kann man es nicht ausdrücken. Statt (nur) dem üblichen "Wir müssen den Bösen stoppen" entfaltet sich eine spannende Geschichte mit glaubhaften Charakteren, die nicht einfach vorhersehbar ist und einen von Anfang bis Ende packt.
Dabei wird deutlich: Der Werbeslogan "Auf welcher Seite stehst du?" ist während und auch noch nach dem Film nicht wirklich zu beantworten. Mit "Captain America: Civil War" kommt der Superheldenfilm endgültig in der Erwachsenenunterhaltung an. Damit hat man etwas Neues in diesem Genre geschafft und die Auswirkungen auf die kommenden Filme sind noch nicht ganz klar. Und gerade das ist Großartige daran.
Klar ist für mich nur eines: das ist der beste Marvel-Film, den es bislang gab.
PS:
Wer mehr zu den Comic-Vorlagen wissen will, kann sich unsere aktuelle "Comic/Check"-Folge dazu ansehen. (Wenn die im Film schamloses Product Placement machen, können wir das auch)
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Im Grund kann man gar nicht so viel spoilern, wie viele vielleicht befürchtet haben. Keiner der Hauptcharaktere stirbt etwa oder wendet sich dem Bösen zu. Von solch einer Klischeefalle ist man meilenweit entfernt. Dennoch gibt es ein paar Aspekte, die man noch besprechen kann, was allerdings nicht ohne Spoiler geht.
Erster wichtiger Spoiler für uns als Leipziger: Der Flughafen Leipzig/Halle ist KEIN Double für den Berliner Airport, sondern tatsächlicher Handlungsort für eine großartige Schlacht unter Superhelden. "The Fiasco of Leipzig" aus Secretary Ross' Sicht. Yeah! :)
Eine sehr angenehme Überraschung ist Spider-Man geworden. Er absolviert kein Cameo, sondern hat im großen Kampf der Helden in Leipzig (Yeah!) eine wichtige Rolle, die aber anders als Black Panther auch verzichtbar gewesen wäre (s. oben). Die Rekrutierungsszene mit Tony Stark ist ganz klar das Setup für "Spider-Man: Homecoming", der im nächsten Jahr anläuft. Inklusive einer selbstironischen Anspielung, dass es endlich Zeit wird, dass der Netzschwinger ein standesgemäßes Update bekommt.
Das alles geht aber völlig in Ordnung, denn Tom Holland gibt einen sehr guten Einstand als Peter Parker und als Spider-Man. Der schüchterne arme Junge aus Queens, der allein bei seiner Tante May lebt und nicht weiß, was er mit seinen Kräften anfangen soll und die Quasselstrippe Spidey, der sich als wahres Naturtalent erweist und in seinem ersten großen Kampf sogar Cap ins Schwitzen bringt. Er schwingt, schlägt und sabbelt sich quer durch den Leipziger Flughafen (Yeah!), das es eine wahre Freude ist.
Der Ton zu Spider-Man ist hier absolut richtig getroffen und lässt einen sehr gespannt auf das Solo-Abenteuer zurück. Die neue, sehr attraktive Tante May, die selbst ein Tony Stark anbaggert, wird allerdings sicher für einige Diskussionen unter den Fans sorgen.
Black Panther alias T'Challa ist eine Ergänzung zur Marvelriege, die sich in diesem Film sehr gut einfügt und am Ende auch eine wichtige Funktion übernimmt. Zugleich will man mehr über den Charakter wissen. Sein Part ist wesentlich runder und war wahrscheinlich viel länger geplant als Spidey, der ja auf den letzten Metern eingefügt wurde. Black Panthers Solo-Film lässt ebenfalls Gutes erwarten.
Die Auftritte der anderen Helden unterwerfen sich ebenfalls gut der Handlung. Deutlich wird, dass der große Kampf in Leipzig (Yeah!) als ein Fan-Favourite in die Marvel-Geschichte eingehen könnte. Hier wird jegliche Zurückhaltung aufgegeben und aus allen Rohren geschossen. Ant-Mans kleiner, aber sehr großer Auftritt als Giant-Man wird sicher Freudenschreie in manchen Kinosälen auslösen (vermutlich nicht in den deutschen, aber in den amerikanischen könnte es laut werden).
Daniel Brühl gefällt ebenfalls als Colonel Zemo. Seine Motivation als Bösewicht ist ungleich kraftvoller als das normale Weltherrschaft/Weltvernichtungsgehabe anderer Marvelfilm-Schurken. Vor allem, weil sich erst zum Schluss herausstellt, warum er die Avengers vernichten will. Sein Verlust durch die Schlacht von Sokovia fügt sich ebenfalls in das Grundthema des Filmes ein und macht die Geschichte rund. Brühls Darstellung wirkt um so mehr, da er statt zu übertreiben untertreibt. Er ist kein Gott aus Asgard, kein Superroboter, nicht einmal ein größenwahnsinniges Hydra-Genie, sondern einfach ein Mensch, der auf Rache aus ist. Und sie auch bekommt.
Die beiden Hauptcharaktere Rogers und Stark, respektive Cap und Iron Man erreichen in ihrer Entwicklung mit diesem Film einen wichtigen Meilenstein. Konsequent hat man bei Marvel die Figuren in den verschiedenen Filmen auf einen Pfad geschickt, der sie nun sehr verändert dastehen lässt.
Tony Stark ist nun nicht mehr das arrogante, aber liebenswerte Genie mit Hang zur Selbstdarstellung, sondern auch ein Opfer seiner Superheldentätigkeit. Mit jedem Film hat er sich nachdenklicher und verletzlicher gezeigt, jeden Triumph über das Böse musste er teuer erkaufen. War er in den Comics der erste Superheld mit einem schweren Alkoholproblem, ist er nun in den Filmen der erste Superheld mit einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die kurz angesprochene Auseinandersetzung mit seinem Vater fügt sich hier gut ein. Der gleichermaßen von sich überzeugte und ruchlose Howard Stark hatte einst das Supersoldaten-Serum mitentwickelt und damit Captain America geschaffen. Sein Sohn, der diese Unnahbarkeit nur als Fassade trägt, will mit seiner geerbten Genialität eigentlich nur Gutes tun und ruft dabei aber vor allem Monster wie Ultron hervor. Mit der UN-Vereinbarung versucht er von den Avengers zu retten, was zu retten ist und wendet sich am Ende gegen das perfekte "Produkt" seines Vaters.
Captain Americas Perfektion ist allerdings bei genauerem Hinsehen auch nur oberflächlich vorhanden. Tatsächlich ist bei ihm eine ähnliche Arroganz zu bemerken wie einst bei Stark. Der bescheidene Junge aus Brooklyn ist der Anführer einer Riege von Supermenschen geworden. Für seinen moralischen Kompass zählen Werte eines idealistischen Soldaten aus den 40ern. Das ist seine Stärke, weil er vor allem unschuldige Menschen beschützen will und zugleich seine Schwäche, da er alles einer Kriegslogik unterzieht. Ein Soldat kann nicht für den Kampf verantwortlich gemacht werden, da dieser dafür ausgebildet oder in Caps Fall "hergestellt" wurde. Und dennoch ist auch seine Position absolut verständlich, da sich Captain America immer wieder als eine Art "letzter Pfadfinder" erwiesen hat. Er ist nie zynisch, sondern handelt nach der klaren Maßgabe, dass die Schwachen und Unschuldigen verteidigt werden müssen – denn er war selbst einer von ihnen. Bereits in seinem ersten Film musste er daher feststellen, dass seine Vorgesetzten nicht unbedingt die gleichen Werte haben. Dieses Missverhältnis wurde mit jedem Film weiter ausgeweitet und erreicht nun den Höhepunkt.
Interessanterweise haben Rogers und Stark die gleichen Probleme mit Autoritäten. Ihr Verhältnis zu selbigen entwickelt sich aber in unterschiedliche Richtungen. Beide haben für die Regierung gearbeitet (als Soldat und als Waffenlieferant), beide lassen sich aber nichts befehlen, wenn sie vom Gegenteil überzeugt sind. Cap erweist sich schon im seinem ersten Film als Alleingänger, wenn er denkt, das Richtige zu tun. Er handelt gegen seine Offiziere und befreit seine Kameraden aus dem Nazi-/Hydra-Lager. Im zweiten Teil nimmt er es mit S.H.I.E.L.D. auf, in diesem dritten gibt er die Avengers auf, weil er sich nichts von Politikern diktieren lassen will, die nicht seine Werte teilen. Das falsche Spiel mit Bucky beweist ihm auch, dass er recht hat. Stark, der sich in den ersten "Iron Man"-Filmen über Militärs und Senatoren lustig macht, wurde mit der Zeit ein wichtiger Mitarbeiter und auch eine Art "Sponsor" von S.H.I.E.L.D. und später der Avengers.
Rogers hat keinen Grund, einem Politiker zu trauen. Für Stark ist es die einzige Möglichkeit, seiner Arbeit einen Sinn zu geben. Beide handeln aber nach der Maxime, Unschuldige unter allen Umständen zu beschützen. Beide glauben an die Avengers.
Insgesamt kann man diesen Konflikt am besten als Streit unter Brüdern verstehen. Sie waren in den vorangegangenen Filmen nie wirklich beste Kumpels, aber es zeigt sich eben, dass sie durchaus verwandt sind. Aus dieser Warte ist ihre Auseinandersetzung auch verständlicher. Im weitesten Sinne vom gleichen Mann erschaffen, den gleichen Werten verschrieben und doch unterschiedlich in ihren Methoden. Das ist wohl auch ein Grund, warum sich die Geschichte in diesem Film so wunderbar fügt, wenn man die anderen Filme und damit die Entwicklung der beiden Charaktere mitverfolgt hat.
So gibt es nun faktisch zwei Avengers-Teams. Eines im Auftrag der UN und eines im verborgenen, gedeckt durch Black Panther. Es wird spannend.