Wenn schon deutsche Mittelalter-Fantasy, dann doch wenigstens der Siegfried-Mythos! Im Kino! Mit moderner CGI-Technik! Und die Macher von "Der Pass" bringen die psychologische Tiefe und moderne Interpretation mit rein. Da muss doch was Grandioses möglich sein...? Aber: nix is. Was für eine Zeitverschwendung.
"Die größte Sage der Welt" – darunter macht es die Constantin Film nicht. Derart vollmundig wird diese Version der Nibelungengeschichte angepriesen und wer den Trailer sah, war danch vielleicht sehr unsicher. Ist das ein deutsches "Game of Thrones" oder eine auf zwei Stunden aufgeblähte "Terra X"-Folge?
Aus der offiziellen Inhaltsangabe:
Der Burgunder Waffenmeister Hagen von Tronje (Gijs Naber) hält mit Pflichtbewusstsein und eiserner Härte das von Krisen geschüttelte Königreich zusammen. Dabei unterdrückt er die heimliche Liebe zur Königstochter Kriemhild (Lilja van der Zwaag) und verdrängt seine eigene dunkle Vergangenheit. Als der sagenumwobene Drachentöter Siegfried von Xanten (Jannis Niewöhner) in Worms auftaucht und mit seiner Unberechenbarkeit die alten Strukturen gefährdet, wird Hagen zunehmend zur tragischen Figur. Der junge und durch den plötzlichen Tod seines Vaters noch unerfahrene König Gunter (Dominic Marcus Singer) sieht in Siegfried eine Chance, das Reich zu retten. Er bittet ihn außerdem um Hilfe, die Walküre Brunhild (Rosalinde Mynster) zu freien. Als sich Kriemhild ausgerechnet in Hagens Widersacher Siegfried verliebt, muss sich der Waffenmeister zwischen Liebe und Königstreue entscheiden.
Der Film basiert zu einem großen Teil auf dem Roman "Hagen von Tronje" von Wolfgang Hohlbein. Die Fortschritte und relativ günstige Verfügbarkeit der digitalen Tricktechnik machen die Stoffe dieses deutschen Vielschreibers seit kurzem sehr attraktiv für heimische Produzenten.
Zur Qualität seiner Werke hat die Literaturkritik ja eine einhellige Meinung.
Zwei weitere Namen im Vorspann gaben mir schon ein ungutes Gefühl: Oliver Berben und RTL+.
Der Rocker und sein Roadie
Ich wusste vorher nicht, dass aus diesem Film auch eine sechsteilige Fernsehserie wird. Und das ist auch gut so. Ein Film soll und muss für sich alleine stehen.
Aber es erklärt am Ende natürlich einiges.
RTL+ geht hier den Weg, den die Öffentlich-Rechtlichen schon jahrzehntelang beschritten haben. Ein großes Kinoevent, aber man dreht gleich mehr Material, um es doppelt auswerten zu können. Siehe Das Boot oder Der Untergang.
2025 kommt diese "moderne Familienserie", wie es im Pressematerial heißt, dann zum deutschen Streamer.
Warum man sich das noch zusätzlich antun sollte, erschließt sich mir nicht. Denn wir sind hier soweit weg von Oscar-würdigem Material wie Hürth-Kalscheuren von Los Angeles.
Beide Werke sollen auch unabhängig voneinander funktionieren.
Aber fangen wir erstmal mit diesem hier an.
Der Ansatz ist ja durchaus interessant. Hohlbein wechselte in seiner Vorlage die Perspektive auf Hagen, den "Siegfried"-Mörder. Er machte ihn edler, gab ihm nachvollziehbare Motive für sein Handeln und zog den germanischen Überhelden Siegfried runter von seinem Schild. Dieser hat viele Schwächen, ist selbstverliebt, schert sich um nichts und ist im Grunde voller Weltschmerz.
So weit, so modern.
Was uns hier aber präsentiert wird, ist nichts weiter als eine große Klischee-Parade. Ein unerträglich langweiliges Aneinanderreihen von Plotelementen, die man zigmal gesehen hat. Dabei muss man auch nicht mal die Siegfried-Sage kennen, um alle paar Minuten das Gefühl zu haben, dass das alles einem bekannt vorkommt – und dabei macht es nicht mal Spaß.
Hagen von Tronje ist ein stoischer, unendlich treuer Diener seines Königs, rechtschaffen und emotional verschlossen. Als Bonus gibt es eine mysteriöse Backstory, die aber am Ende auch keine Rolle mehr spielt. Wenn seine Moral einmal von der Norm abweicht, dann nur weil er seinem König helfen will. Und er liebt Kriemhild. Heimlich natürlich. Er verliert nie laut ein Wort darüber. Das ändert sich auch nicht bis zum bitteren Ende.
Also genau die Mischung, die man von einem Helden haben möchte...
Auf der anderen Seite haben wir unseren Siggi Pop. Ich kann mir das Produzentenmeeting schon vorstellen:
"So ein unverwundbarer Held, der überall im Land für seine Taten bekannt ist, der ist doch sowas wie ein Rockstar seiner Zeit oder? Das müssen wir abbilden."
"Geile Idee, Chef."
"Und macht ihn so Halb Arschloch, halb verletzlich. Da stehen doch die Weiber drauf!"
"Wird gemacht, Chef."
Siegfried wird mit einer coolen, aber ausgefransten Pelzkragenjacke und Kurt Cobain-Gedächtnis-Frisur in Szene gesetzt. Natürlich hängen ihm die unhistorisch blondierten Strähnen immer im Gesicht. Dadurch soll man wohl Swagger und Verletzlichkeit erkennen können. Kriemhild gibt ihm an einer Stelle einen Haarschnitt. Schon zwei Szenen später hängt ihm die Frise aber wieder in der Fresse.
Natürlich schert er sich einen Dreck um Hofprotokoll (inwieweit hier überhaupt Wert auf historische Genauigkeit Wert gelegt wurde, sei dahingestellt), hat immer diesen leicht gebückten Gang mit Frontman-Attitüde drauf, so dass er wichtigtuerisch von unten durch seine Strähnen glotzen kann. Er ist ungehobelt, hurt herum und säuft in Kellertavernen (woher diese auf der Burg kommen, weiß auch keiner). Aber er hat einen gemeißelten Body zum Dahinschmelzen.
Ach ja, an einem Punkt darf er sogar wie jedes Filmarschloch einen Apfel essen und abwertende Sprüche dazu klopfen.
Jannis Niewöhner ist eigentlich ein guter Schauspieler. Daher muss man seine Darstellung der Regie anlasten. Wenn Cyrill Boss und Philipp Stennert gedacht haben, dass das der richtige und interessante Ansatz sei, um dem Publikum die Wahl zwischen Hagen und Siegfried schwer zu machen, dann muss ich sagen: Beide kann der Drache fressen.
Das Traumschiff: Burgund
Schlimmer ist es bei den weiteren Figuren. Die Newcomerin Lilja van der Zwaag gibt die neue Kriemhild. Während die meisten Darsteller offensichtlich schon Probleme haben, diese grauenhaft gestelzten und hölzernen Dialoge mit ein bisschen Leben zu füllen und naturalistischer rüberkommen zu lassen, ist van der Zwaag völlig überfordert.
Es ist wirklich nur Soap- und Traumschiff-Niveau, was sie abliefert. Sie wirkt steif und bei emotionalen Szenen schlicht unglaubwürdig. Ich habe ihr weder ihr Lachen auf ihrer Hochzeit noch ihre Trauer um Siegfried abgekauft. Lächeln und Weinen — das war schon zu viel für sie.
Sie soll eine junge Frau zwischen Pflicht und Liebe spielen. Eine, die um der Völker Frieden willen als Braut verkauft wird... kümmert mich das? Nö.
Dominic Marcus Singer gibt König Gunter. Dieser soll als überfordert rüberkommen; als jemand, der nicht weiß, was es heißt zu regieren und im Grunde mit seiner Brunhild-Besessenheit sich auch als junger Tagträumer geriert.
Das nimmt man auch so wahr. Aber Singer kämpft er eher gegen die Klischee-Dialoge an, anstatt sie sich zu eigen zu machen. Dass sein immer durchscheinender österreichischer Akzent überhaupt nicht zu den anderen Figuren passt, mag man da sogar noch verzeihen.
Was man dann aber aus Brunhild gemacht hat und Rosalinde Mynster zu spielen gibt, ist im Grunde eine Frechheit. Waren es mehr als zehn Zeilen Text, die sie in alter nordischer Sprache von sich geben darf? Das ist alles, was man ihr beim ersten Auftritt gibt. Dabei hat sie (natürlich) keine Kleidung an. Der Ton ist also gesetzt, was ihre Figur angeht.
Da braucht auch kein PR-Mensch "starke, unabhängige Frau" flüstern. So blöd sind die Zuschauer nicht.
Nach ihrem Zweikampf mit Gunter, besteht der Rest des Filmes für Brunhild aus bedeutungsschwangerem in-die-Ferne-Schauen und Herumschreien. Denn sie ist ja eine wilde Kriegerin. Die machen das so. Die schreien, wenn sie in die Schlacht zieht, schreien, wenn sie gegen Siegfried kämpft, schreien, wenn er dann tot ist...
Es ist ein erbarmungswürdiges Schauspiel, was einem da geboten wird.
Den Fantasyfaktor möchte man aber auch nicht vergessen. Zwerg Alberich wird zum Glück nicht als Gimli-Verschnitt präsentiert, sondern als eine Art Gruselelfe. Immer in Schwarz mit Kapuze gehüllt oder im Dunkeln stehend und geschlechtlich unklar gelassen. Die Rolle spielt Johanna Kolberg und das auch durchaus kompetent. Selten sieht man das ganze Gesicht von diesem "alten Wesen", das scheinbar digital verfremdet wurde. Aber: leider erkennt man den computergenerierten Eingriff und was schlimmer ist: Dieses übernatürliche Wesen macht derart bemüht auf gruselig, dass es hart an der Grenze zur unfreiwilligen Komik ist.
Unterstrichen wird dies durch einen wilden Schnitt, bei dem Alberich z.B. von einer Ecke des Raumes im Raum springt, wenn man einmal nicht hinguckt oder es werden Flashbacks und Flashforwards in seine Aussagen eingestreut.
Das kann funktionieren, gerade wenn er in den Albträumen der Figuren auftaucht. Aber es gibt einfach keine Konsistenz, keine inneren Regeln, denen man folgt. Es wird für den Effekt gemacht, für billige Jump Scares, die es am Ende einem auch noch schwer machen, den an sich wenig gehaltvollen Aussagen zu folgen.
Die größte Sage für RTL-Zuschauer
Man muss das Kind beim Namen nennen. Verantwortlich für diese filmische Zumutung sind die Regisseure und Drehbuchautoren. Ich habe "Der Pass" nicht gesehen. Aber entweder sind Cyrill Boss und Philipp Stennert mit Hagen - Im Tal der Nibelungen einfach ein paar Stufen abgerutscht oder die Kritik hat vielleicht bei der Krimi-Serie nicht richtig hingesehen.
Hagen ist durchaus schön anzuschauen. Die Kamera darf sich austoben, die Kostüme, das Make-Up, das Setdesign und auch die Effekte sind auf hohem Niveau. Man hat keine Fremdscham-Momente, die ein zweifelnder Zuschauer von einer deutschen Produktion vielleicht erwarten würde.
Nein. Das Problem ist einfach eine unglaublich lahme Story, gefüllt mit unsympathischen Charakteren, gepaart mit einer stückelhaften Montage.
Hagen ist zaudernd, Siegfried ein Arsch, Kriemhild mal durch ihre Pflicht deprimiert, dann wieder blauäugig und unglaubwürdig, Gunter ist nicht als König geeignet und Brunhild will eigentlich gar nicht hier sein.
Das setzt man uns als Hauptcharaktere vor, mit denen man dann mitfiebern soll. Das gelingt schlicht und ergreifend nicht. Wer lebt und wer stirbt, interessiert einen nicht. Vor allem, da sich keine Figur weiterentwickelt und keine sich als wirklich kompetent darbietet.
Vielleicht würden das packende Wendungen und tolle Schlachtszenen aufwiegen. Aber es folgt einfach nur Klischee auf Klischee.
Harald Schmidt hat mal gewitzelt, dass in deutschen Filmen irgendwann immer jemand sagt: "Trink das. Das wird dir gut tun."
Ratet mal, welche Worte fünf Minuten nach Filmbeginn fallen...
Trotz offensichtlich hohem Budget wird bei den großen Schlachten gespart. Alles bleibt eher klein, von einigen wenigen Totalen mit großen Aufmärschen geht man immer schnell in Zweikämpfe im Kampfgewirr über.
Da laufen unsere Helden auch mal dummtreu im supernebligen Wald in einen Hinterhalt (und kommen gerade noch so davon).
Da wird der Sachsenkönig off screen enthauptet.
Da sehen wir die furchteinflößenden Hunnen schnell von ihren Pferden heruntersteigen, damit sie wieder im Einzelkampf auf kleiner Fläche kämpfen können.
Die tapferen und nicht minder furchteinflößenden Walküren sind irgendwann nur noch farbige Tupfer im Getümmel.
Auch hier wieder: Das ist für sich genommen nicht schlecht in Szene gesetzt und die Kampfchoreographie funktioniert in einzelnen Momenten auch gut. Aber es fügt sich nicht zu einem großen Ganzen zusammen. Es bleibt unoriginell und altbekannt.
Wenn z.B. jemand sein Schwert verliert, muss er immer am Boden kriechen, um es zu erreichen. Aufstehen ist nicht. Sonst kommt ja keine Spannung auf.
Statt Action zu sehen, bekommt man dafür Lückenfüller vorgesetzt.
Dazwischen gibt es ganz viel ins-Leere-Starren der Hauptdarsteller, während alles in Zeitlupe abläuft und sich bedeutungsschwangere Musik, die beim Hans-Zimmer-Fanclub bestellt wurde, im Raum breit macht.
Wenn es nicht die Landschaft ist, dann ist es das Feuer von Kaminen, in das die Figuren starren, um danach ein wichtiges Gespräch zu führen. Das macht stimmungsvolles Licht und man spart Geld, weil man alles in einer Kulisse drehen kann.
Richtig albern wird es, wenn die Regisseure lieber in Rückblicken erzählen, anstatt einfach die Szene, um die es geht, richtig ausspielen zu lassen.
Es passiert mehrmals, dass eine Figur einer anderen etwas erschütterndes zu erzählen hat. Dann sehen wir eine Rückblende, was gerade passiert ist, dann die Reaktion des Gesprächspartners. Die ist meist emotional sehr zurückhaltend, sprich: wir sehen, wie jemand die Zähne zusammenbeißt und vielleicht mal den Blick senkt.
Was soll das?
Man hat manchmal den Eindruck, dass hier keiner in der Lage ist, eine klare Geschichte zu erzählen. Kleine Nebenhandlungen werden aufgemacht und dann nicht richtig zu Ende gebracht. Szenen werden nur angerissen und auf das nötigste reduziert.
Ein Beispiel: Nach gewonnener Schlacht feiern Walküren und Burgunder am Lagerfeuer und fangen an, auf eigentümliche Weise zu tanzen. Also hat man sich offensichtlich die Mühe gemacht, eine eigene Choreografie zu erfinden. Jeder macht dabei mit, sogar Hagen. Aber wir hören keine passende Musik dazu. Stattdessen läuft der normale Score einfach weiter und kaum hat man sich darauf eingelassen, ist die Szene auch wieder vorbei.
Jede Wette, dass es in der Serie eine ordentlich geschnittene und längere Fassung gibt.
Der zweite Schuldige ist daher schnell ausgemacht: RTL+. Man hat hier eine Serie von sechs Folgen auf 135 Minuten (mit Abspann) zusammengestrichen.
Wofür?
Soll das Werbung für die Serie sein? Will man wirklich noch mehr davon sehen? Es ist schon erstaunlich, dass man gleichzeitig das Gefühl hat, hier eine gekürzte Version einer Geschichte zu sehen, die einem aber viel zu lang vorkommt.
Ich habe während des Films so oft wie selten auf die Uhr geschaut, in der Hoffnung, dass er bald vorbei sein möge und Hagen endlich Siegfried niederstrecken darf.
Der Endkampf zwischen den beiden ist für sich genommen auch durchaus kompetent inszeniert. Aber dieser Teil der Sage ist so bekannt, dass es einen daher vorher zwingend emotional packen muss, um mit der richtigen Spannung in dieses Finale zu gehen. Aber man fühlt im Grunde nur die Erlösung, dass es endlich vorbei ist.
Die klitzekleine Wendung beim Kampf und das halboffene Ende sind dann noch die Kirschen auf dem Klischeekuchen.
Fortsetzung... Ja, klar. Darauf hat man dann richtig Lust...
Fazit
Das sitzen wir nun und glotzen wie Gunter auf dem Thron dumm daher.
Der Trailer ließ einen zwiespältig zurück: Das sieht gut aus, aber kann die Geschichte überzeugen?
Sie kann es nicht. Große Fantasy aus Deutschland, basierend zudem auf deutschen Mythen – und es hat einfach nichts, was einen bei der Stange hält.
Es sieht aus wie teures Kino, dafür sorgen die Abteilungen hinter der Kamera, aber es kommt rüber wie billiges Fernsehen. Dafür sorgen die Regie und das Drehbuch und sie ziehen ihre zum Teil durchaus fähigen Darsteller mit hinunter.
Sinnbildlich dafür ist die berühmte Drachenszene. Wir sehen nicht, wie Siegfried die Bestie tötet. Die wenigen Momente, wo man den CGI-Drachen zu Gesicht bekommt, wirkt er auch absolut überzeugend. Aber wir bekommen nur Ausschnitte in Rückblenden präsentiert, wie Siggi im Blut badet. Kein Kampf, kein Heldenmut, nur ein trainierter Typ in roter Suppe.
Falls es dann am Ende tatsächlich so sein sollte, dass es diesen Kampf nur in der Serie zu sehen gibt, weiß man endgültig, warum dieser Film ein gescheiterter ist.