Wir hatten an dieser Stelle ja schon unsere Einschätzungen und Anmerkungen zu den diesjährigen, nunmehr 88. Academy Awards zum Besten gegeben. Nun sind auch diese vorbei. Was nehmen wir mit? Was hat uns erstaunt? Über was haben wir uns gefreut?
Die Überraschungen
Den größten Moment des Staunens gab es am Ende. "Spotlight" wurde zum besten Film gekürt. Ihn hatte so gut wie niemand auf der Rechnung. Er hatte zwar bei den Preisen der Schauspielergewerkschaft SAG für das beste Ensemble gewonnen, was meistens ein Hinweis für gute Chancen ist (die Mehrheit der Academy-Mitglieder sind Schauspieler und auch im SAG organisiert, von daher lassen sich gewisse Parallelen ableiten), aber "The Revenant" ging doch als Favorit ins Rennen. Der Drehbuch-Oscar für Spotlight schien der einzige zu bleiben, bis dann Morgan Freeman die große Überraschung verkündete. Dass der Beste Film nur noch einen weiteren Oscar mitnehmen konnte, gab es schon lange nicht mehr. "Die größte Schau der Welt" gewann 1953 (!) Besten Film und Beste Story.
Das Team von "Spotlight" freut sich über den Preis für den Besten Film
Was hat den Ausschlag gegeben? Schwer zu sagen, bei 6.000 stimmberechtigten Mitgliedern weiß man auch nicht, um wie viele Stimmen der Film vorne lag. Generell kommen aber große Ensembles, bei denen jeder eine gute Rolle hat, bei Schauspielern besser an als One-Man-Shows. Das könnte am Ende gereicht haben, um "Spotlight" als ersten über die Ziellinie zu bringen.
"Mad Max: Fury Road" holte sechs Statuetten und nachdem "Revenant" im Verlauf des Abends spürbar den Schwung verloren hatte, keimte bei uns sogar die Hoffnung auf, dass George Miller für die Beste Regie oder sogar der Beste Film drin wären. Aber es kam dann doch – erwartet und unerwartet – anders. Aber sechs Oscar für einen Science-Fiction-Actionfilm, der zudem ein Sequel ist, ist absolut beachtlich und bestätigt den Trend, den ich im Beitrag zu den Nominierungen angesprochen hatte. Science-Fiction ist hoffähig geworden. Es wird (hoffentlich) nicht mehr lange dauern, bis auch der Hauptpreis mal an das Genre geht.
Andy Serkis verkündet den Überraschungssieger "Ex Machina" bei den Besten Visuellen Effekten
Apropos Science-Fiction. Der Oscar für die Besten Visuellen Effekte ging an "Ex Machina". Ebenfalls eine Überraschung, setzte sich dieser doch gegen die ganz großen Namen wie "Star Wars" durch. Mich persönlich freute das, denn der Film ist eine kleine Independent-Produktion, die mit vergleichsweise wenig Geld richtig tolle Effekte auf die Leinwand brachte und sie – und das wird wohl den Sieg ausgemacht haben – komplett für die Story einsetzte. Keine großen Schlachten, sondern die glaubwürdige Darstellung einer Androidin (und damit die Unterstützung für die Schauspielerin) stand hier Vordergrund. Das Ergebnis ließ einen staunen. Das ist schon fast zur Seltenheit im Sci-Fi-Genre geworden. Zu sehr haben wir uns an das große Spektakel gewöhnt. Da ist so eine Leistung eine sehr willkommene Abwechslung.
Wer mehr über die Entstehung der Visuellen Effekte erfahren will, hier gibt es einen sehr aufschlussreichen Artikel dazu: https://www.fxguide.com/featured/ex-machina-the-making-of-ava/
Die nicht ganz so großen Überraschungen
Bei den Besten Nebendarstellern war das Feld relativ offen im Vergleich zu den Vorjahren. Während viele (inkl. wir hier bei Nerdzig) gerne Sylvester Stallone vorne gesehen hätten, erwies sich dies wohl mehr als Wunschtraum denn ernsthafte Überlegung. Gewinner Mark Rylance genießt bei seinen Kollegen hohen Respekt, das war im Vorfeld immer wieder zu hören. Von daher kam die Auszeichnung nicht ganz ohne Voransage. Für Stallone war es wahrscheinlich die letzte Chance auf einen Goldjungen. Andererseits: it ain't over till it's over!
Alicia Vikander hatte sich in den vergangenen Woche mehr und mehr als Favoritin herausgeschält. Von ihr werden wir sicher noch mehr in Zukunft sehen.
Ennio Morricone hat es mit 87 Jahren dann doch noch geschafft einen Oscar im Wettbewerb zu gewinnen (für sein Lebenswerk hat er schon einen). Quentin Tarantino wird sich bestimmt auf die Schulter geklopft haben.
"Writings on the Wall" als bester Song kam dann doch etwas unerwartet. Zu kommerziell, zu umstritten bei den Bond-Fans, zu wenig soziale Aussage – das spricht normalerweise gegen einen Sieg. Aber 007 sollte man eben nie unterschätzen.
Die erwarteten Preisträger
Ja ja, der Leo. Nun hat er ihn endlich. Nachdem das Internet vor ein paar Jahren beschlossen hatte, dass DiCaprio schon gefühlt jedes Jahr nominiert wurde und nie, aber auch nie, niemals gewonnen hat, obwohl er es so, so sehr verdient hätte (was absoluter Quatsch ist), konnte seine Fangemeinde nun aufatmen und wir können uns auf neues Meme freuen.
Leonardo DiCaprios Leistung war aber ohne Frage absolut auszeichnungswürdig und er krönte damit seine bisherige fast makellose Karriere. Es wird sicher nicht sein letzter Oscar gewesen sein.
Alejandro G. Iñárritu hat den Doppelpack hingekriegt. Zwei Regie-Oscars hintereinander. Damit steht er nun - zumindest in dieser Hinsicht - auf einer Stufe mit Joseph L. Mankiewicz und John Ford. Keine schlechte Gesellschaft. Er dürfte nun bei seinen kommenden Projekten so gut wie alles machen können, was er will. Mal schauen, was dabei herauskommt.
Sogar einen Hattrick schaffte Emmanuel Lubezki. Dreimal hintereinander hat er nun den Oscar gewonnen und damit den 13-fach nominierten Roger Deakins ausgestochen, dem man es nun einmal doch gegönnt hätte. Aber hier reichte seine Arbeit nicht aus, um gegen die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen in "The Revenant" zu bestehen.
Lubezki bekam Oscars für "Gravitiy", "Birdman" und "The Revenant"
Brie Larson holte als Beste Hauptdarstellerin den Preis und wirkte so wenig überrascht, gefasst und vorbereitet, dass es fast schon langweilig anzusehen war. Mit 26 Jahren aber eine solche Leistung wie in "Room" abzuliefern, ist aber aller Ehren wert. Auch ihr wird sicher eine große Karriere bevorstehen.
Der Moderator und die Kontroverse
Weniger die Filme, sondern die Kontroverse um die "so weißen Oscars" bestimmte aber die Medienlandschaft im Vorfeld der Verleihung. Daher waren alle Augen auf Moderator Chris Rock gerichtet. Wie würde er das Thema angehen? Als Comedian ist das Thema Rassendiskriminierung, bzw. als Schwarzer in den USA zu leben ganz groß auf seiner Agenda. Inmitten der ganzen Vorwürfe, dass die Academy die Leistungen von farbigen Künstlern zu wenig würdige, konnte selbige von Glück reden, jemand wie Rock schon vorher als Gastgeber des Abends gebucht zu haben. Und er enttäuschte nicht. Im Gegenteil.
In seinem Eröffnungsmonolog schaffte Chris Rock den Spagat, das Thema sowohl humoristisch als auch brutal ehrlich anzugehen. Er versuchte gar nicht erst, irgendetwas glatt zu bügeln oder zu beschönigen. Er nannte Hollywood "natürlich" rassistisch, aber es seien nun mal die nettesten Leute, die hier rassistisch handelten. Er verlangte am Ende nur eines: eine Möglichkeit, eine Chance für schwarze Filmschaffende. Diese werde man dann nutzen. Der Saal reagierte mit frenetischem Applaus.
Zwischenzeitlich hatte man sogar das Gefühl, dass man das Thema genauso penetrant angehen wollte, wie es auf die Academy hereingebrochen war. Bis auf eine schöne Zwischeneinlage mit Pfadfinderinnen drehte sich alles das Thema Rassismus in Hollywood – allerdings vor allem von einer humorvollen Seite. Wobei einem das Lachen auch das eine mal im Hals steckenbleiben konnte. Das war Absicht und es war auch gut so.
Chris Rock ließ die Girl Scouts von LA bei den versammelten Millionären Kekse verkaufen. Diese hatten offensichtlich viel Bargeld dabei...
Ingesamt machte die Zeremonie einen sehr lockeren Eindruck, sie huschte auch ziemlich schnell vorbei. Eine willkommene Abwechslung zum vergangenen Jahr, als sich der arme Neil Patrick Harris durch eine überproduzierte Show krampfen musste, über die er heute nur noch sehr wenige Worte verliert.
Fazit
Nicht die aufregendste Oscar-Verleihung (was die Gewinner angeht), aber eine, die sich durch einen politischen Ton auszeichnete. Im Vorfeld war der ganze Komplex "Oscars" sehr politisiert worden. Dementsprechend reagierte man auf der Bühne darauf. Es ging um Rassismus, sexuelle Gewalt (vor allem beim Besten Film, aber auch Lady Gaga und US-Vizepräsident Joe Biden brachten bei einer Songperformance das Thema nach vorne), Klimawandel (Umweltaktivist DiCaprio ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen) und selbst der "Bester Song"-Preisträger Sam Smith verknüpfte sein Lied mit seinem Leben als stolzer schwuler Mann.
Es hat schon bessere Verleihungen gegeben, aber auch schlechtere. In politisierten Zeiten kann man auch bei den Oscars nicht einfach zur schönen Schau übergehen. Das ist anerkennenswert und man darf hervorheben, dass man trotzdem (oder vielleicht sogar deswegen) eine unterhaltsame Show erleben durfte.