Mit dem Flammenwerfer gegen Gedanken
Ein Hörbuch eines Roman zu besprechen, der sich um die Unterdrückung des Lesens dreht, mag auf den ersten Blick ironisch erscheinen, tatsächlich können die Menschen bei Fahrenheit 451 aber alle lesen. Es geht darum, was sie lesen und vor allem wie viel. Die meisten Menschen beschäftigen sich mit den neuen Medien, die ihnen zur Verfügung stehen. Alles, was nur kurze Aufmerksamkeitsspanne benötigt. Alles, was kein tieferes Denken erfordert und auf schnelle, emotionale Reaktion ausgelegt ist... Kommt einem das bekannt vor?
So gibt es Fernsehprogramme, an denen die Zuschauer "teilhaben" können, indem sie Drehbücher beim Anschauen vorlesen. Der Zuschauer kann eine Rolle einnehmen und die Figuren sprechen mit einem – natürlich ist das nicht wirklich interaktiv, aber das kümmert die Fans nicht. Sie dürfen sich ihren Stars ganz nah fühlen. Die schnelle Dosis Dopamin... so wie heute, wenn ein Star einen Kommentar oder Tweet liked – wer möchte das nicht jeden Tag haben?
Die Gesellschaft, die Ray Bradbury hier beschreibt, hat ihren Appetit auf das Verloren, was Bücher ausmacht. Die intensive Auseinandersetzung mit neuem Wissen, neuen Ideen und Perspektiven – all das sorge nur Verwirrung und schlechte Stimmung, so dass der Staat hier nun Bücher nicht nur verbietet, sondern ihren Besitz unter Strafe stellt. Die Feuerwehr geht mit dem Flammenwerfer gegen die illegalen Besitztümer vor. Was anderes machen sie nicht, seitdem die Menschen in feuerfesten Häusern leben.
Bradbury beschreibt eine ferne und doch wieder nahe Zukunft. Ein genaues Jahr wird nicht gegeben, verschiedentlich gab es (von Autorseite) Angaben auf die Mitte des 21. Jahrhunderts. Dass er vage bleibt, ist ein Vorteil, lässt es das Werk doch zeitloser erscheinen, obwohl es ein Zukunftsroman ist.
Bei Audible gibt es eine Zeitlinie verschiedener Science-Fiction-Romane zu sehen. Fahrenheit 451 würde doch ganz gut in die Mitte unseres Jahrhunderts passen, wenn man sieht, wie viele Dystopien in diesem Zeitrahmen spielen. Die Stimmung in Bezug auf die nahe Zukunft scheint bei vielen Autoren nicht besonders gut zu sein. Erst in ferneren Jahrhunderten träumt man von großen Fortschritten.
Für das ganze Bild anklicken / Quelle: Audible
Ein helles Feuer
Fahrenheit 451 dreht sich um den Feuerwehrmann Guy Montag, der seine Arbeit gewissenhaft erfüllt, aber dennoch ahnt, dass es mehr im Leben geben muss. Eines Abends trifft er die junge Clarisse, die mit ihren Kommentaren seinem Weltbild einen gewissen Schubs versetzt. Dazu kommt ein Selbstmordversuch seiner Frau und schließlich der Freitod einer alten Dame bei einem Einsatz, die lieber mit ihren Büchern verbrennt als mitanzusehen, dass man sie ihr wegnimmt. Das Weltbild wankt immer mehr.
Montag stiehlt ein Buch aus ihrer Sammlung und für ihn beginnt eine Reise, bei der er sein altes Leben hinter sich lässt und ein neues sucht, dass voller neuer Erkenntnisse, aber auch neuer Gefahren ist. Die genauen Umstände der Welt, in der sich Montag bewegt bleiben uns jedoch verborgen, wir lernen alles aus seiner kleinen Perspektive, die sich jedoch immer mehr weitet, je mehr er sich mit dem Wissen der Welt durch die Bücher beschäftigt.
Bradburys Sprache ist sehr bildersatt, vielleicht sogar etwas zu blumig für manchen Geschmack, aber natürlich will er auch das geschriebene Wort in seinem Werk feiern.
Rufus Becks langsame Sprechweise unterstützt das ganze und macht das Hörbuch zu einem besseren Erlebnis als etwa ein 1000-Seiten-Schmöcker, wo nur durchgehastet wird.
Fahrenheit 451 ist kein prophetisches Werk als solches, die Gründe, warum sich eine Gesellschaft in bewusste Ignoranz begibt und dies von der Seite der Mächtigen genutzt wird, um ihre Herrschaft auszubauen, werden auch nicht näher erläutert.
Dennoch finden sich genug Warnhinweise und Parallelen zu unserer Zeit, in der vor allem Desinformation und der Unwille zur ausführlichen Auseinandersetzung mit schwierigen Themen zu einer Gemengelage führen, die die Freiheit bedrohen. Man kann zwar nirgendwo ganz konkret auf eine Entwicklung zeigen, die sich mit der heutigen genau abdeckt, gerade das macht aber Fahrenheit 451 auch so gut, regt es doch zum eigenen kritischem Denken an.
Guy Montag ist natürlich insofern auch ein Hoffnungsträger. Ein Jedermann, der aus eigenem Willen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit heraustritt. Auch deshalb ist Fahrenheit 451 so wichtig – und erschlägt einen auch nicht mit einer epischen Erzählung.
Zwei längere Auto- oder Zugfahrten, ein Hin- und ein Rückweg ist dieses Hörbuch lang.
Da lohnt es sich, sich diesen Klassiker einmal zu Gemüte zu führen.
Hörbuch verfügbar bei Audible
https://www.audible.de/pd/Fahrenheit-451-Hoerbuch/B004V42XH4