Wahnsinn Stufe 1.
Ein Mann rennt durch einen Dschungel. Derselbe Mann fliegt wenig später zum Mond. Anderswo nimmt derselbe Mann an einer seltsamen Séance teil und durchlebt Unaussprechliches. Dieser Mann trägt keinen Namen, aber dafür das Schicksal dieser Welt auf seinen Schultern. Grant Morrison ist der Autor hinter dieser Figur und deren Geschichte. Er gilt als Comic-Genie und mit NAMELESS schafft er es tatsächlich, zu beeindrucken. Dabei ist das jedoch anders aufzuwiegen, als zuerst gedacht. Der Titel spaltet nämlich gehörig.
Zum einen wäre da die Hauptfigur selbst. Der namenlose Protagonist der Handlung ist mehr als wirr erklärt. So ist er Experte für Okkultes und derlei Dinge, was ihn zum optimalen Ansprechpartner für einen neuen und sehr speziellen Auftraggeber macht. Der sieht es vorerst vor, keinen direkten Kontakt mit der Hauptfigur aufzunehmen. Dennoch macht er ihm schnell klar, dass das Ende der Welt bevorsteht und er dringend seine Hilfe benötigt. Die eigentlich klassische Held-rettet-die-Welt-vorm-Untergang-Geschichte, oder? Falsch gedacht!
Wahnsinn Stufe 2.
Bei NAMELESS bringt Morrison eine schier unendliche Zahl an Inspirationen zusammen. Die lässt sich am besten noch als Mischung aus DCs CONSTANTIN, Clive Barkers HELLRAISER und generell H.P. Lovecrafts Werken bezeichnen. Gleichzeitig setzt er sich dabei mit den Themen Angst, Wahnsinn, Paranoia und Gewalt auseinander. Was für ein abfahrender Mix, oder? Aber auch einer, der Probleme mit sich bringt - und das wird schon zu Beginn deutlich spürbar.
Schon die ersten Seiten stellen eine kleine Herausforderung für den Leser da. Selbst jetzt, einen Tag nach dem ich den Comic gelesen habe, weiß ich noch immer nicht, wie ich diesen Einstieg zu interpretieren soll. So in etwa zieht es sich auch durch den Rest des Comics. Wir springen wild umher ohne ein einziges Mal zu wissen ob sich dies alles in der Realität oder nur im Kopf der Hauptfigur abspielt. Hier ist Kopfzerbrechen also vorprogrammiert.
Die Bilder von Chris Burnham unterstützen die widersprüchliche Ungewissheit mit einem blau-roten Wahnsinn, der über die Seiten flutet. Ein psychedelischer Albtraum voller Boddy-Horror und wilder Visualisierungen der ständigen Handlungssprünge, der auf das Hirn des Lesers einprasselt und ab Seite eins eine kleine Herausforderung für mich war. Für die einen faszinierend abgründige Genialität, für die anderen einfach nur krank.
Sicher, Morrison verfolgt bewusste andere Wege, was er auch im Nachwort zum Comic erwähnt und erklärt (sollte man unbedingt lesen). Trotzdem bleibt für mich ein überraschend grundsätzliches Problem.
Wahnsinn Stufe XY7.
Ich musste mich entscheiden: Finde ich NAMELESS mit all seinen frischen und neuen Ansätzen gut oder ist der verwirrende Aufbau und die damit verbundene Erzählung ein klares Wagnis zu viel? Ist NAMELESS gut oder schlecht? Eine Antwort ist schwierig und erfordert ordentlich Bedenkzeit. Aber eben auch das ist eine Besonderheit an dem Comic. Er regt zum Nachdenken und Interpretieren ein. Er stellt uns vor eine simple Frage, die dennoch viel vom Leser abverlangt.
Ich bin ehrlich, so wirklich fällt mir keine Antwort darauf ein, wie ich diesen Titel bewerten könnte. Vielleicht soll ich das auch gar nicht. Vielleicht ist dies die einzig richtige Antwort und damit auch die einzig mögliche Schlussfolgerung zu diesem Comic. Es gibt kein endgültiges Fazit – Kein Gut oder Schlecht. Einen Comic wie NAMELESS in harten Kategorien zu bewerten ist falsch. Er bleibt etwas Besonderes und das ist zumindest teilweise als Lob zu verstehen.
Ist doch irgendwie verrückt, oder?
Empfohlener Kauflink:
http://www.comiccombo.de/Deutsche-Comics/Album-M-O/Album-Nameless::80216.html
Bildquelle:
Cross Cult