MEINUNG
Der US-Autor Jonathan Hickman hat sich in der jüngsten Vergangenheit durch seine Arbeit an den Marvel-Mutanten bemerkbar gemacht, die zuvor irgendwo in der Bedeutungslosigkeit rumschwebten und den Glanz alter Tage einmal mehr hinter sich gelassen hatten.
Hickman änderte dies schlagartig mit seiner phänomenalen Doppel-Serie House of X/Powers of X und katapultierte die Truppe rund um Charles Xavier und Co. in neue und ungeahnte Sphären.
Mit Hickman wurde die Geschichte der bekannten Figuren deutlich mehr in Richtung Science Fiction gelenkt. Dafür entwickelte der Autor neue Ansätze, technologische Elemente und änderte auch einige Fähigkeiten von Mutanten, um beispielsweise einen der coolsten Momente der Serie zu erschaffen und nebenbei die gesamte Zeitlinie der Marvel-Comics infrage zustellen.
Das Ergebnis überzeugte auf ganzer Linie und begeisterte Fans und Kritiker gleichermaßen.
Im Dezember 2019 stellte Hickman dann sein nächstes und ebenso ambitioniertes Projekt vor. Zusammen mit dem US-Zeichner Mike Huddleston werkelte er da schon seit geraumer Zeit an Decorum für Image Comics herum.
Zu diesem Zeitpunkt schwärmte Hickman bereits von seiner Zusammenarbeit mit Huddleston in höchsten Tönen. Das Ergebnis davon können wir nun auch hierzulande betrachten.
Die Leser der eben schon genannten Doppel-Serie werden sich bei Decorum sicher schnell heimisch fühlen. Schon vor dem allerersten Panel wirft uns Hickman in völlig neues Universum und definiert uns schon dessen politische Strukturen und anfängliche Geschichte.
Dies passiert immer wieder im Verlauf der Handlung und wird stets in reinen Textformen dargestellt. Hickman regt damit die Fantasie seiner Leser an und zieht sie so noch weiter hinein.
Gleichzeitig fühlen sich diese Einschübe aber auch wie kurze Verschnaufpausen an, die man auch gerne annimmt, denn dazwischen wird man von Mike Huddleston und dessen bildgewaltigen Artworks förmlich erschlagen.
Ja, Decorum sieht wirklich fantastisch aus. Es wird 2022 wohl kaum noch einen anderen Comic geben, der so wild, abwechslungsreich und faszinierend aussieht wie Decorum.
Der Amerikaner Mike Huddleston hat hier eine wirklich beeindruckende Arbeit hingelegt. Jedes Kapitel sieht anders aus und funktioniert dennoch als geschlossene Erzählung, was auch gerade deshalb so gut klappt, weil auch in der Geschichte ständig zwischen verschiedenen Orten gewechselt wird.
Hickman und Huddleston sind ein Traumduo und ihr gemeinsam erschaffenes Universum beweist dies mit jeder Seite mehr.
Doch fernab der funkelnden und atemberaubenden Optik muss sich Decorum auch einigen unangenehmen Fragen stellen und beispielsweise erläutern, wie vielschichtig die Geschichte nun eigentlich wirklich ist?
Schließlich hat Hickman schon mehr als einmal sein Können unter Beweis gestellt und tolle Werke wie East to West zu Papier gebracht.
Streng betrachtet könnte man Decorum daher erst einmal davon ausnehmen, denn im Kern ist die Geschichte deutlich simpler gehalten als erwartet. Große Wendungen oder ähnliches stehen bei Decorum nicht an der Tagesordnung und auch grundsätzlich fehlt es dem Titel an greifbaren Überraschungen.
Was bleibt also unter dem Strich?
Jonathan Hickman hat ein auf den ersten Blick umfangreiches Universum erschaffen und versucht mit Leben zu füllen. Erzählerisch bleibt dabei jedoch einiges auf der Strecke. Der klare Highlight von Decorum bleibt aber dessen grandiose Optik.
Bemisst man allein diesen Faktor, so gehört der Titel zweifelsohne zu den besten Comics des Jahres.